Kapitel 1
Kräftig schüttelte ich Chris durch. »Verdammt! Wir haben kein Geschenk für Cosmo und Malon! Und morgen ist schon Heiligabend!« Chris sah mich unwohl an. »Du hast ja recht… Wir können ja morgen nicht mit leeren Händen dort erscheinen. Lass uns besser losgehen.« »Und wohin?«, fragte ich ihn misstrauisch. »In Halunzia gibt’s nen schönen Krimskrams-Laden. Vielleicht finden wir da ja was Tolles.« »Ein Versuch ists wohl wert.«, meinte ich zu ihm und zuckte mit den Schultern. Wir hatten den 23. Dezember und immer noch kein Geschenk für Malon und Cosmo. Verdammt! Wieder alles auf den letzten Drücker! Da hatte sich Cosmo schon frei genommen, die Feiertage über auf Silvercoast Island zu verbringen, nachdem ich in der Adventszeit versucht hatte mein Charma aufzubessern, und nun bekommt er nicht einmal ein Geschenk! Es war höchste Zeit, etwas zu unternehmen.
Ich hatte bereits meinen schwarzen Wintermantel an – Chris zog sich anschließend auch schnell um. Wir machten uns schleunigst auf den Weg zum Hafen, wo ich mein kleines Ruderboot losmachte. Wir sprangen rein und machten uns auf den Weg nach Süd-Halunzia, was etwa eine viertel Stunde von Silvercoast Island entfernt lag. Von dort aus war es auch nicht mehr sehr weit bis nach Nordhalunzia, wo sich der Laden befinden sollte, den Chris beschrieb.
»Meinst du wir sind hier richtig?«, fragte ich Chris skeptisch. »Aber natürlich! Guck doch mal da hinten. Wenn wir die Straße nach links gehen, sehen wir den Laden schon.« Ich vertraute Chris einfach mal. So stapften wir ganz entspannt durch die verschneiten Wege von Halunzia, bis wir vor dem besagten Laden ankamen. Ich stand gerade vor der Tür, als ich Chris einen bösen Blick zuwarf. »Chris, der Laden hat seit drei Tagen zu.« »Verdammt…« Er sah ganz ratlos durch die Gegend. Ich ging einige Schritte und lehnte mich mit etwas Schwung an eine Holztafel an, die zugeschneit war. Mit einem Ruck löste sich der Schnee und enthüllte einige Zettel, die daran hingen. Chris sah ganz interessiert und gespannt auf die Tafel, also drehte ich mich auch um. Ein Zettel warb um eine weihnachtliche A-cappella-Aufführung in Heela, ein anderer war ein fürstlich-amtlicher Zettel, der über einen Bankraub mit verloren gegangener Beute berichtete, jedoch erweckte letztlich ein ganz anderer meine Aufmerksamkeit: »Halunzia Winterquelle… Selbst im Winter blühen hier seltene Pflanzen… Chris! Was hältst du davon, wenn wir Malon so eine seltene Pflanze schenken? Mal was Extravagantes! Und wo zum Teufel kriegt man schon im Winter Pflanzen her?« »Und sieh mal, es ist sogar eingezeichnet, wo die Quelle ist!« »Dann los!« Wir hatten vielleicht doch Glück im Unglück! Jetzt mussten wir nur noch die Quelle finden.
Kapitel 2
»Diese Winterquelle liegt nordöstlich von Halunzia«, murmelte ich, während ich die Karte begutachtete, die auf der Tafel fein säuberlich eingezeichnet war. Die Gebiete um Halunzia herum wurden durch einen dunkelbraunen Strich markiert, die meisten Regionen waren in sanften Rot- oder Gelbtönen hervorgehoben.
Ich blickte auf die kleine Winterquelle, die dem Maßstab nach wohl nur einige Dutzende Quadratschritte groß war. Sie war auf der Karte hellblau hinterlegt und über ihr stand in einer geschnörkelten, leicht gebogenen Schrift „Halunzisches Winterquell“, womit wohl die auf dem Zettel erwähnte Quelle gemeint war.
»Es gibt einen Pfad dorthin«, sagte ich zu Jack, stemmte mich von meinen Knien wieder hoch und drehte mich zu ihm um. Er kratzte sich am Kopf und zeigte auf den besagten Weg auf der Karte. »Der sieht ziemlich steil und mühevoll aus. Ziehen wir also los, bevor es dunkel wird«.
Der Himmel über den Häuserdächern war zwar noch ziemlich hell und die zerrissene Wolkendecke leuchte durch die Sonne gelblich, doch in einer guten Stunde sollte bereits die Nacht hereinbrechen.
Wir stapften durch die schneebedeckte Straße und brachen gen Norden auf. »Du, was ist denn jetzt mit Cosmos Geschenk?«, fragte ich Jack, während wir die letzten Häuser hinter uns ließen und auf den breiten von Tannen gesäumten Sandweg voranschritten.
»Der Mitternachtsbasar hat heute Abend noch auf, da schauen wir auf den Rückweg vorbei. Der hat immer etwas Geniales«, meinte Jack. »Du meinst den kleinen finsteren Trödelladen neben dem Zinngießer, wo wir für Gotoxy zu Ihrem Geburtstag so ‘n antiken Stuhl gekauft haben?«, fragte ich lachend, »Und als sie ihn auspackte, drei Kakerlaken raushuschten und sie vor Schreck ohnmächtig wurde?«. Jack konnte sich das Lachen auch nicht verkneifen, als er an diesen Abend zurückdachte.
Mehrere Fußschritte später wurde der Sandweg schmaler und die Bäume türmten sich rechts auf einem breiten Hügel auf.
Der Weg vor uns gabelte sich. Die Hauptstraße ging geradeaus weiter runter, während rechts ein schmaler Pfad hoch zum Hügel führte. Die Tannen um uns herum saugten förmlich das Abendlicht auf und der Horizont war indessen ein rot-blaues Band. Ich konnte mich nicht erinnern, schon einmal hier gewesen zu sein.
Wir stapften den verschneiten Weg hoch. Jack fing an, mich mit irgendwelchen alten Storys zuzureden, die ich mit irgendwelchen Phrasen beantwortete, aber so richtig hörte ich ihm nicht zu.
Ich wollte meine Gedanken sortieren, aber die Sorge um die Perfektion der Vorbereitungen, die ich heute Mittag für den morgigen Weihnachtsabend getroffen habe, das fehlende Geschenk für Cosmo und meine losen Pläne für den Silvestertag brachten wieder alles durcheinander. Wir waren mittlerweile so hoch, dass wir über die Tannen auf die Hauptstraße unten links von uns herabsehen konnten. Der Himmel war mittlerweile tiefblau und der Horizont nur noch ein schmaler roter Streifen.
»Naja, egal.«, sagte Jack zu mir und holte mich wieder in die Wirklichkeit zurück. »Ich hoffe mal, dass der Wisch nicht schon jahrelang dort hängt und die Quelle versiegt ist«, fuhr er fort. »Glaubst du?«, meinte ich und deutete auf eine leichte Dampfwolke, die sich jetzt wenige Schritte vor uns über den Tannen auftat. Der Pfad machte jetzt einen scharfen Knick nach rechts und wir wurden von den dichtstehenden Tannen verschlungen.
Die Atemluft, die eben noch bei jedem Schritt von den letzten Sonnenstrahlen angestrahlt wurde, konnte ich jetzt nur noch vor mir spüren.
Im Wald war es ungewöhnlich dunkel und kalt. Wir schritten immer weiter voran, in der Hoffnung, die Dampfwolken, die wir draußen sahen, stammen von der Winterquelle.
Doch es blieb stockfinster und die Baumstämme standen allmählich so nah beieinander, dass wir uns kaum Durchzwängen konnten. »Jack, ich seh den Pfad nicht mehr, auf dem wir hätten sein sollen«, raunte ich. »Wir müssten doch längst da sein.«, meinte Jack und schritt neben mir über Äste, die schallend knackten. Doch das Knacken wurde vom Wald sofort wieder aufgesaugt und ging in den pfeifenden Windzügen um uns umher unter.
Es war mittlerweile rabenschwarz um uns geworden.
Ich hatte die Hoffnung aufgegeben und die Angst in mir, so allein in diesem mysteriösen Wald zu sein, wurde mit jedem Schritt größer. »Chris, schau mal hier rüber«, sagte Jack und versuchte mich wohl mit dem Arm anzustupsen, den er aber verfehlte und sich deswegen geräuschvoll abpackte.
Ich drehte mich um und sah links von mir ein schwaches Leuchten, das zwischen unzähligen einzelnen Baumstämmen durchschimmerte. Ich suchte Jack auf den Boden und zerrte ihn an seiner Jacke hoch.
Vorsichtig näherten wir uns dem Leuchten, das mit jedem Schritt kraftvoller zu werden schien. Es kam aus einer Art natürlichem Tor, das sich in einer undurchdringbaren Wand aus Bäumen über Jahre wohl geformt hatte. Das hellblaue Licht schoss auf uns zu und blendete mich sogar. Ich hob den Arm vor mein Gesicht, um meine Augen langsam an die Helligkeit gewöhnen zu lassen.
Wir durchschritten gemeinsam das Tor und blieben erstaunt stehen. Vor uns erstreckte sich eine kleine Lagune aus einem kleinen dampfenden Teich, der die kreisrunde Baumwand um sich herum in einem hellen Blau erstrahlen ließ und den Nachthimmel leicht erhellte.
»Wir haben die Winterquelle gefunden«, sagte Jack erstaunt, doch ich flüsterte: »Das glaube ich nicht…«
Kapitel 3
Es war ungewöhnlich warm hier. Rund um die Quelle befand sich auch kein Schnee. Chris hatte Recht – es war nicht die Winterquelle. Es war ein anderer Ort, der zwar der Quelle recht ähnlich war, die auf der Holztafel beschrieben wurde, aber dennoch sich grundsätzlich unterschied. Es war hier eine heiße Quelle, das Wasser hatte einen ungewöhnlich hellblau leuchtenden Farbton und die Pflanzen, die rundum wuchsen, sahen auch sehr unbekannt oder merkwürdig aus. »Dort hinten!«, rief Chris. Ich sah in die Richtung, in der er mit dem Zeigefinger zeigte. Eine große, wunderschöne, blaue und sogar leicht leuchtende Blume befand sich gegenüber von uns. Es war ein wundervoller Anblick, es wirkte schon beinahe magisch. Chris klatschte plötzlich vollkommen euphorisch in die Hände. »DAS ist es, Jack! Die nehmen wir mit und schenken sie Malon!« Ich fand die Idee auch sehr toll, also gingen wir beide sehr vorsichtig zum anderen Ende der Quelle und standen vor der wunderschönen Blume. Ich kniete mich hin und sah die Blume genau an. Chris tat dasselbe. Ich roch aus sicherer Entfernung an der Blume und stellte einen sehr angenehmen und süßlichen Geruch fest.
Plötzlich wurde mir irgendwie ganz schwummrig und ich hatte das Gefühl, dass die Entfernung, die ich einnahm, doch nicht ganz so sicher war, wie ich es mir dachte. Ich hörte einen sanften Aufprall, als ich mich darauf fixierte, sah ich Chris, wie er auf dem Boden lag… Was war mit ihm passiert? Ich wollte nach ihm sehen! Doch bevor ich mich bewegen konnte – bevor ich überhaupt etwas sagen konnte – wurde mir schwarz vor Augen.
Der Wind rauschte sanft und irgendwie war mir kalt. Ich musste plötzlich gähnen. Dann dachte ich nach… Wind..? Ich war draußen! Und ich lag? Ich sah mich hektisch um und bemerkte, dass ich auf dem Boden lag – mitten im Schnee. Ich drehte mich nach links um und sah Chris…
Der Anblick war grauenhaft. Er war… blutüberströmt, bewegte sich nicht. Ich sah einen Pfeil… ich befürchtete das Schlimmste.
Was zum Teufel war hier los?!
Ich stand auf und inspizierte ihn näher. Ich sah, dass der Pfeil ihn nicht durchbohrte, sondern eine Dose, die auf seinem Kopf war… Eine Dose mit Tomatensauce? Ich berührte ihn vorsichtig mit dem Finger und nahm eine Kostprobe. Tatsächlich… Ich atmete tief aus. Das war also nur Tomatensauce. Irgendwie fühlte ich mich noch ziemlich benommen und ich wusste nicht so recht was passiert war, wo wir nun waren und warum zum Teufel wir dort waren. »Chris! CHRIS!«, rief ich wiederholt. Chris schreckte plötzlich auf. »Ihr kriegt mich nie!!! Das ist meine Banane!… Was.. Wo bin ich… J.. JACK?« Chris sah mich entgeistert an, fing aber dann an zu lachen. »Jack, warum zum Teufel hast du lange, rote Damenstiefel an!« Damenstiefel? Ich vermutete, er musste wohl ziemlich benommen sein. Doch dann warf ich einen Blick hinunter. Ich trug verdammt nochmal tatsächlich rote, lange Damenstiefel! Was mich aber noch mehr schockte war die Unterhose, die ich über der Hose drüber an hatte. Es war aber nicht meine Unterhose. »JACK! Sagmal hast du Frauenunterwäsche über der Hose?!« »Großer Gott!!! Wieso?!« Plötzlich fiel mir etwas vom Kopf. Es war ein Pappkarton. Ich trug die ganze Zeit über einen Pappkarton auf dem Kopf und hatte es nicht gemerkt… »Auf dem Kopf hast du auch noch ein Höschen?!« Sehr entsetzt wollte ich es ihm gar nicht glauben. Aber das Abtasten meines Kopfes bestätigte seine Aussage… Voller Scham warf ich die Unterhose von meinem Kopf und zog die zweite Unterhose über der Hose aus. Die Damenstiefel musste ich widerwillig dran lassen, da ich sonst keine Schuhe hatte. »Aber sieh dich erstmal an! Voller Tomatensauce, eine Dose auf dem Kopf mit einem Pfeil drin. Und… was.. was ist das überhaupt für ein flauschiger, pinker Schal? Und warum sitzt du in einem Einkaufswagen?!« Jetzt war Chris genauso verwundert wie ich. Wir sahen wie die letzten Nutten aus. Chris mit einem Diva-Schal und ich mit langen, roten Damenstiefeln. »Was… Was ist passiert? Wie sind wir hier hergekommen? Wir wollten doch die Blume für Malon mitnehmen…« Langsam fing ich an lauter zu werden. »Warum zum Teufel sind wir nun mitten in der verschneiten Wildnis mit einem Einkaufswagen und einer sehr zwielichtigen Kleidung?!« Chris wusste in dem Moment auch keine richtige Antwort. Ich bückte mich und sah mir den Schnee an. »Sieh mal. Die Spuren des Einkaufswagens sind noch frisch…
Wir haben wohl erst vor kurzem das Bewusstsein verloren.
Ich dachte kurz nach. „Wenigstens können wir an den Spuren unseren Weg zurückverfolgen.“, murmelte ich. Wer weiß wo wir sind! Und wann! Wir könnten hinter Heela sein, aber auch genauso in der gottverlassenen Eiswüste von Nordor!« »Selbst wenn, falls wir nicht magischerweise teleportiert wurden, dann haben wir den Weg selbst bestritten, und dann muss in der Nähe wohl auch ein Dorf oder zumindest ein Haus sein. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass wir lustig und singend mehrere Kilometer durch die Landschaft mit dem Einkaufswagen gedüst sind!«
Ich hoffte es zumindest…
Kapitel 4
Es war ein herrlich leichtes, warmes Gefühl, als ich versuchte, mich langsam im Einkaufswagen aufzuraffen. Jedes einzelne Wort von Jacks Gerede kam bei mir glasklar an, doch irgendwie dauerte es sekundenlang, bis sich mir der Satz erschloss und manchmal blieben die Wortfetzen einfach nur Wortfetzen, über die es sich nicht lohnte nachzudenken.
Ich stand fast aufrecht im Einkaufswagen, als ich wieder zusammenbrach und in einer eigentlich unbequemen Stellung einfach liegen blieb.
Plötzlich durchströmte mich ein Gefühl der Wärme und alles in meinem Blickfeld verschwamm zu einer grellen Masse.
Ich weiß nicht, was passierte.
Es war dunkel um mich herum. Glaubte ich. Eben gerade zumindest.
Aber wissen konnte ich es nicht. Wie soll man denn etwas wissen, wenn man keinen klaren Gedanken fassen kann. Und es so schön ist, dass man kein Verlangen hat, klar denken zu müssen. Es ist so schön, wenn man nicht mehr viel denkt.
Mir schossen in diesem Moment einzelne bewegte Bilder durch den Kopf. Ich sah eine blaue Blüte, die viel zu schnell zu groß wurde, Jack, wie er auf ein Holzpferd durch eine Straße ritt, ich wie ich ein Kackhaufen begutachtete, wieder Jack, wie wir wie die Wilden davonrannten. Es folgten Dutzend weitere Bilder, doch dann wurde es wieder schwarz.
Glaubte ich zumindest.
Irgendwie war es dann weiß wieder. Oder vielleicht war es vorher schon weiß? Auf jeden Fall klärte sich das Bild und ich sah einen noch etwas dunklen wolkenlosen Morgenhimmel und Jack, der am Einkaufswagen rüttelte.
»Wach – Gut – Dachte – – – Das hat uns wohl ziemlich mit– «, redete er auf mich ein, aber die Wörter blieben manchmal immer noch so unglaublich blöde zusammenhangslos.
Ich hangelte mich am Einkaufswagen hoch und versuchte auszusteigen, aber der Boden war derart rutschig, dass ich im schlingernden Einkaufswagen wieder hinfiel. Einen kräftigen Sprung später lag ich dann endlich auf dem kalten Eisboden.
»Nuttig… dein Outfit«, waren die ersten Worte, die ich bewusst hervorbrachte, sogleich in schallerndem Gelächter ausbrachte und mich vor Lachen auf dem Boden hin und her rollte. Jacks Damenstiefel und seine Unterhose gaben wirklich ein schräges Bild ab.
Plötzlich durchdrang mich ziemlich schnell die Kälte und ich spürte einen harschen Wind im Gesicht. Das betörende Gefühl war weg und ich konnte nach wenigen Augenblicken wieder ziemlich klar denken. »Chris, du siehst mit deinem Tomatenoutfit auch nicht viel besser aus«, meinte Jack ziemlich genervt und doch gleichzeitig leicht amüsiert.
Ich stand auf allen vieren und atmete schnell tief ein und aus. Der Boden unter mir war unglaublich kalt, weswegen ich langsam aufstand.
»Jack, wieso sind wir hier?«, fragte ich ihn total verwundert. »Wir sind hier zumindest fehl am Platz, die Witterung ist hier sehr unmenschlich. Wir sollten schnellstens aufbrechen, bevor wir erfrieren«, meinte Jack bestimmt. Ich stimmte ihm zu, es war wirklich eiskalt hier. Der Boden war eine einzige riesige Eisplatte, die sich bis zum Horizont erstreckte. Nur auf einer Seite waren Gebirgsmassen und Hügel zu erkennen.
»Lass uns den Einkaufswagen quer stellen. Wenn wir uns rauflehnen, können wir uns so müheloser fortbewegen«, sagte ich zu Jack. Es war auf jeden Fall angenehmer sich so abstützen zu können, als den meilenweiten Marsch zu Fuß zurückzulegen.
»Was ist passiert?«, wiederholte ich mich. »Wir wollten Blumen für Malon kaufen. Also fuhren wir nach Halunzia. Aber dann weiß ich auch nicht mehr was passierte«, meinte Jack, während wir mit dem Einkaufswagen sanft über die dünne Schneeschicht hinweg rollerten, immer in Richtung der Schneespuren, die ziemlich schräg verliefen und von Fußspuren durchtreten waren. »Okay, das weiß ich auch noch. Und wir wollten etwas für Cosmo kaufen. Wir wollten diese zwei Sachen kaufen, weil… Weihnachten heute ist!«, sagte ich zu Jack, der energisch nickte. »Ich kann mich noch daran erinnern, dass wir in einem Wald waren. Dann waren wir an einem Ort, in dem ein kleiner See war. Alles leuchtete hellblau, der Teich und auch der Rasen«, meinte ich.
Ich hielt inne, weil das so bescheuert klang, aber Jack bestätigte mein ziemlich schräges Bild. »An so was kann ich mich erinnern, aber nicht an einen Wald«, meinte er.
Während die – scheinbar bewaldeten – Hügel am Horizont uns immer näher kamen, spekulierten wir weiter, wieso wir uns an die Nacht nicht erinnern können. Ich erzählte Jack auch von meinen merkwürdigen Bildern, die ich vorhin im Kopf hatte.
Aber an einem Holzpferd-Ritt konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern.
Eine halbe Stunde später war mir sehr kalt und ich fing an zu zittern, doch wir waren glücklicherweise von der Eisfläche runter und fuhren mit dem Einkaufswagen den Hügel hoch. Einige Momente später erstreckte sich vor uns ein dichter Wald und davor ein Wanderpfad. Die alten Spuren unseres Einkaufswagens bogen auf diesen Pfad ein. Wir folgten ihm, nur um eine merkwürdige Entdeckung zu machen: Auf dem Boden waren viel mehr Fußspuren zu sehen, und der Einkaufswagen wurde anscheinend mehrere Male im Kreis gedreht. Einige Schritte weiter hatte einer von uns wohl einen Schneeengel in den Boden gemalt.
Es war hier nun wesentlich wärmer als in der Eiswüste und ich merkte nun, wie die festgefrorene Tomatensoße sich wieder verflüssigte. Mit einem kurzen Ruck zog ich mir die Dose von meiner schwarzen Weihnachtsmütze, in der sie drin hing und begutachtete sie: In Ihr steckte ein großer Holzpfeil mit einer eisenbeschlagenen Spitze. Mir schauderte es.
Es war eigentlich eine ziemlich große Dose. Eine typische aus einem jedbeliebigen Essensladen, die mit kleinen Teigtaschen und Tomatensoße gefüllt sind. Ich legte sie in den Einkaufswagen rein, Jack tat es mir nach und legte seine Unterhose und seinen Pappkarton auch rein. Schlussendlich überdeckte ich den Krimskrams mit meinem flauschigen rosa Schal.
Wir fuhren den Pfad weiter runter, bis wir jemanden schrien hören: »Wer ist da? Wer seid ihr, antwortet sofort!«.
Hinter einem kleinen Hügel auf unserer rechten Seite lugte ein breiter bärtiger Mann mit einer Armbrust hervor, die er mehr oder minder gut gezielt auf uns richtete. »Wir sind nur Touristen, also nehmen Sie die Waffe herunter«, meinte Jack.
Wir ließen den Einkaufswagen stehen und schritten auf den Mann zu, der sogleich die Armbrust senkte. »Was war denn passiert?«, fragte ich den Mann, obwohl ich irgendwie wusste, dass ich die Antwort wohl schon kannte.
»Achso, Sie sind also nur Touristen? Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Sie nicht bedrohen«, meinte der bärtige Mann, der sich aus eines seiner zahlreichen Taschen auf seiner grünen Jacke ein Taschentuch holte und sich die Stirn tupfte. »Sie sind bloß die ersten Wesen, denen ich seit dem Vorfall gestern begegnet bin«, fuhr er fort. »Welchen Vorfall?«, fragte Jack und der Mann entgegnete: »Ich bin mit meinem Sohn hier kampieren, um die winterliche Blauschwalbe zu finden«. Er nickte mit dem Kopf zu seiner Rechten, und wir sahen hinter ihm einen kleinen Jungen, der gerade ein Zelt abbaute. »Als wir spätabends von der Suche zurückkamen, war unser Lager voller Fußspuren und es fehlten uns einige Tomatenteig-Dosen. Obwohl diese Gegend hier verlassen ist, waren wohl Wilderer oder irgendwelche anderen Leute auf unserem Platz. Ich hielt die nächste halbe Stunde Wache am Lagerfeuer, während mein Sohn bereits schlief, und plötzlich wie aus dem Nichts kamen zwei sehr verwirrende Gestalten auf mich zu gerannt. Sie bewegten sich stockartig, jedoch auch irgendwie so als hätten sie Schlagseite. Auf jeden Fall sahen beide wie Lustfräuleins aus der Ferne aus, die eine mit einem langen Schal und die andere mit langen Damenstiefeln«, erzählte der Mann mit abschweifendem Blick. Sofort machte Jack einen schnellen Schritt hinter mir, so dass ihn der bärtige Mann nicht sehen konnte.
»Die eine Gestalt jonglierte mit irgendwas Metallenem, auf jeden Fall schepperte es laut. Sie riefen dann ganz laut: „Wo sind hier die Nutten?“. Ich befahl ihnen zurückzugehen, aber sie kamen immer weiter auf mich zu und so schoss ich meine Armbrust ab. Zum Glück kann ich so schlecht in die Ferne sehen, der Pfeil ging wohl meilenweit daneben«. Dachte er. Wir versicherten den Mann, dass er sich das alles wohl nur eingebildet habe und schritten davon. Natürlich so, dass Jacks rote Damenstiefel nicht zu sehen waren.
»Oh mein Gott Jack, ich glaube mir ist gerade irgendwie klar geworden, was passiert ist«, meinte ich auf dem Rückweg zum Einkaufswagen raunend zu Jack, »Ich denke, wir haben eine heidenlustige Nacht gehabt und haben alles wieder vergessen… Vielleicht können wir auf dem Rückweg das Meiste rekonstruieren, was wir diese Nacht veranstaltet haben«.
Jack nickte, doch dann blieb er stehen und packte mich an den Schultern: »Jetzt weiß ich‘s wieder, wir wollten heute Abend wieder im Jasra Café sein, weil unsere Familienmitglieder dort mit uns Weihnachtsabend feiern wollen!«. Ich versuchte mich daran zu erinnern, aber ich konnte es nicht. Doch es hörte sich irgendwie plausibel an. »Wie spät haben wir es? Wir müssen pünktlich wieder auf Silvercoast Island sein!«, meinte Jack. Ich kramte in meiner Hosentasche nach einer Uhr, doch es klimperte nur laut. Ich zog vier gelbe Rupees aus meiner rechten Tasche. Jack sah mich verwirrt an.
»Woher hast du die denn?«, fragte er, doch bevor ich ihn antwortete, suchte ich meine anderen Taschen ab. Selbst in meiner inneren Jackentasche hatte ich drei Rupees im Wert von 420 Rupees. »Scheiße, wenn wir gestern Nacht keine Bank ausgeraubt haben, dann hatte ich immer schon unwissend zu viel Geld«.
Doch auch Jack kramte aus seinen Taschen wenige, dafür umso wertvollere Rupees hervor. Wir sahen uns ziemlich erschrocken an, während wir den Einkaufswagen weiter den Pfad runterrollten.
Vor uns erstreckte sich ein weiterer Hügel, hinter dem sich ein größeres Dorf erstreckte. Es war immer noch relativ dunkel. Ich konnte viele kleine orangene Lichter ausmachen. Vielleicht war es schon Halunzia. Unser Sandweg mündete in einen leicht seitlich verlaufenden größeren Pfad. Hinter den Tannen links schien etwas Größeres auf dem Pfad angerollt zu kommen. Plötzlich tauchte wenige Meter vor uns ein dunkelblauer Wagen mit ausgeschalteter Sirene und einer „Nachtwache“-Aufschrift auf, der langsam ausrollte.
Jack stieß mich mit dem Einkaufswagen zur Seite und wir rutschten den Hang herunter. Der Einkaufswagen bollerte ziemlich laut den Abhang herunter und ich schlug unsanft auf. »War das jetzt echt nötig?«, fragte ich Jack leise. »Hoffentlich haben sie uns nicht gesehen«, murmelte er sich zu und wandte sich dann zu mir: »Überleg doch mal, wir haben vermutlich eine Bank ausgeraubt. Glaube ich. Das passierte nachts. Und jetzt taucht ein Automobil der Nachtwache auf«. »Du glaubst also, dass sie immer noch nach den Tätern suchen?«, flüsterte ich ihm zu.
Plötzlich raschelte es über uns. Oben am Hang schien jemand die Gegend abzusuchen, denn ich konnte eine Hand ausmachen, die eine Laterne hochhielt. So schnell wir konnten standen wir auf, zogen den Einkaufswagen hinter uns her und hechteten in das große Buschwerk neben uns. Wir humpelten so schnell wie es unsere Beine und der Wagen erlaubte durch das Geäst durch und wir kamen mehrere Fußschritte weiter beim großen Pfad raus. Wir sahen hinter uns in der Ferne den Wagen der Nachtwache.
Mit einem unsicheren Gewissen schritten wir den Pfad entlang, Richtung Halunzia. In der Hoffnung, die Bankraubgeschichte aufzuklären – ohne viel Aufsehen zu erregen. Und in der Hoffnung, rechtzeitig wieder nach Silvercoast Island zu kommen. Der Einkaufswagen schepperte unruhig vor uns her.
Kapitel 5
Als ich mir so den Himmel ansah, schätze ich die Zeit auf acht Uhr morgens. Zum Glück waren wir nicht länger im Rausch. Und ich war froh, dass wir einen Einkaufswagen dabei hatten, den man leicht zurückverfolgen konnte, auch wenn ich nicht wirklich wissen wollte, woher wir den hatten.
»Sieh mal da!«, flüsterte ich zu Chris und zeigte auf ein altes, leicht verschneites Schild. Man konnte den Schriftzug Windberg erkennen. »Windberg? Das liegt doch nördlich von Heela.« Chris nickte erleichert. »Gott sei Dank, dass wir wirklich nicht in Nordor sind.«
»Heeey ihr da! Bleibt sofort stehen!« Wir bewegten uns nicht und atmeten ganz schwer vor Angst. »Ihr habt meinen Einkaufswagen gefunden! Gott sei Dank!« Ein sehr ärmlich aussehender Mann mit langem, dreckigen Bart kam uns entgegen gerannt und umarmte uns nacheinander, wodurch uns ein brennender Geruch von Fisch und Alkohol entgegen kam. »Gestern war mein Einkaufswagen einfach verschwunden! Und ihr habt ihn mir endlich zurück gebracht!« »Hehe… Das haben wir doch gern gemacht!« Wir lachten beide gekünstelt – so als ob wir am Pokertisch sitzen würden und mit dummen Gelache unser Blatt vertuschen wollten. Während sich der Mann kurz umdrehte, als er etwas hörte, nahm Chris schleunigst die Sachen aus dem Einkaufswagen. Der Herr nahm seinen Wagen und verschwand wieder. Ich sah Chris entsetzt an. »Wir haben einem Penner den Einkaufswagen geklaut?!« Chris konnte sich vor Lachen fast nicht halten. Aber dann wurde er wieder ernsthafter. »Nein, ich glaube nicht, dass wir wussten, dass es einem Penner gehört. Immerhin hatte er uns ja nicht gesehen.« »Ja, stimmt wohl.«, sagte ich überzeugt. Wir gingen ein Stück weiter, als wir an eine etwas größere Straße ankamen.
Dann grinste ich plötzlich. »Chris! Sieh mal! Ein Hotel!« Wir waren doch ziemlich fertig und müde. Obwohl es morgens war, waren wir wahrscheinlich die ganze Nacht unterwegs, sonst wären wir ja in der eisigen Gegend hier erfroren. Und so wie ich Chris ansah, hatte er auch dringend eine Dusche nötig. »Geld haben wir ja auch, also lass uns mal eine Pause einnehmen. Wir haben ja noch genügend Zeit bis Heiligabend.« Chris stimmte mir euphorisch zu. Wir machten uns also langsam auf dem Weg zum Hotel.
Drinnen angekommen sah uns die nette Dame an der Rezeption ziemlich seltsam an. »Wir… hatten eine aufregende Nacht und brauchen ein paar Stunden Ruhe. Was kostet ein Zimmer?«, fragte ich die Frau entspannt. »Ähm. Dreißig Rupees die Nacht. Aber weil Heiligabend ist, und ihr sowieso nicht die Nacht über bleiben wollt, bekommt ihr das Zimmer gratis!« Chris lächelte total dankbar und wollte die Frau schon umarmen, doch dann fiel ihm auf, dass er noch ziemlich dreckig war. Ich war auch sehr beruhigt, dass wir unsere großen, teuren Rupees nicht rausholen mussten. Wer weiß, vielleicht hätte das ja etwas Verdacht auf uns gelenkt.
Die Dame führt uns zu unserem Zimmer, wo ich erstmal meine Damenstiefel auszog. Chris verschwand schleunigst in der Dusche und machte auch seine Kleidung so gut wie möglich sauber. Ein einfacher Wecker war auf dem Tisch. Ich stellte ihn auf zwölf Uhr mittags. Das sollte vollkommen reichen. Dann hätten wir etwas Schlaf und könnten auch unseren restlichen Rausch ausschlafen.
Es dauerte wirklich nicht lange bis wir eingeschlafen sind.
»JACK! JAAACK!« Diesmal schüttelte Chris mich durch. Er zeigte auf die Uhr, die auf dem kleinen Tisch neben meinem Bett stand. Es war vier Uhr nachmittags! Verdammt! Der Wecker ging nicht und wir hatten viel zu lange geschlafen! Ich zog mir widerwillig meine Damenstiefel wieder an, dann nahmen wir alles was wir noch hatten und machten uns schleunigst auf den Weg nach Hause.
Es war ein ziemlich schöner Tag, nur wenig Wolken am Himmel. Wir liefen mit erhöhtem Tempo in Richtung Heela. »Jack verdammt! Wir haben noch nicht einmal ein Geschenk für Malon und Cosmo bekommen! Nur deswegen waren wir doch unterwegs!« Er hatte Recht – und es ärgerte mich ziemlich. Doch im Moment war es wichtig, dass wir überhaupt nach Hause kämen. Als wir etwas fernab von der Straße gingen, damit wir nicht entdeckt werden, kamen wir an einem Gebüsch vorbei. Ich hielt an. »Chris! Sieh dir das mal an!« Chris drehte wieder um und sah in die Richtung, in die ich mit dem Finger zeigte. Vor uns war eine wunderschöne, große Blume mit weiß leuchtenden Blütenblättern. Dann kam uns plötzlich die Erinnerung an die letzte, hübsche Blume, die wir gesehen hatten. »Chris, das hier ist keine geheime, magische, Rauschblumen-Quelle! Die Blume wäre perfekt für Malon! Ich geh da zuerst hin. Und falls ich durchdreh, dann halt mich auf!« Chris nickte lautlos.
Vorsichtig tastete ich mich vor und stand dann direkt neben der Blume. Bis jetzt konnte ich noch keine Veränderung bemerken. Noch ging es mir sehr gut. Ich roch kurz an der Blume und stellte einen wunderbaren, schon leicht fruchtig-süßen Geruch fest. Als ich die Pflanze als sicher erachtete, holte ich sie vorsichtig mit Wurzel aus dem Boden heraus. »Glück gehabt. Fehlt uns nur noch ein Geschenk für Cosmo.«, sagte Chris noch skeptisch. Mit der Blume gingen wir dann weiter in Richtung Heela.
Es dauerte nicht lange, bis wir schon die ersten Häuser sahen und ebenso nicht lange, bis Chris mich wieder anhielt.
»Großer Gott… Jack…« Ich hatte schon ziemlich Angst davor, das zu sehen, was Chris eben entdeckte. Trotzdem drehte ich mich in seine Richtung und sah einen Schneemannskopf, der links neben dem Körper lag. Als ich mir den Schneemann selbst genauer ansah, bemerkte ich, dass er ein Pferdekopf hatte. Erschrocken ging ich hin, während mir Chris leise folgte. Ich atmete tief aus – es war ein Holzkopf. Ich wusste es zwar nicht genau, aber ich konnte es mir schon ausmalen. Der Kopf war verbunden mit einem langen Besenstil. Ein typisches Kinderspielzeug – Ein Holzbesenpferd, das man reiten konnte »Verdammt…«, sagte Chris und sah nachdenklich den Pferdekopf an. »Ja aber woher haben wir den Besen überhaupt?«
»Heeeey! Wer seid ihr!«, rief eine raue, weibliche Stimme uns zu. »Wir sind hier nur auf der Durchreise, wieso?« »Gestern hat so ein Irrer mit ner Unterhose auf dem Kopf das Spielzeugpferd von meinem Sohn geklaut, ist damit bis zum Hafen geritten und kam dann wieder zurück. Dann hat ein anderer mit einem Nuttenschal den Kopf von dem Schneemann weg und das Pferd da reingesteckt! Bevor ich die Polizei wegen Belästigung rufen konnte, sind sie wie komplett Verrückte lachend losgerannt! Noch mal Glück gehabt, würd ich sagen.« Wir lachten beide wieder halb gekünstelt. »Die pennen garantiert wieder unter irgend ner Brücke. Solche Leute haben sowieso keine Zukunft!«, sagte ich, um den Verdacht abzulenken. Die Frau lächelte dumm und ging dann wieder weg.
Als sie verschwunden war, atmeten wir fast gleichzeitig tief aus und waren sehr beruhigt, dass das nicht aufgeflogen ist.
Kapitel 6
Die Pflastersteinstraße, auf der wir liefen, war ziemlich leer. Ein, zwei Leute hasteten über die Kreuzung. Die Holzhäuser an den Seiten waren mit Schnee bedeckt und die orangeleuchtenden Fenster strahlten die Bäume am rechten Straßenrand leicht an.
Wir gingen einige Schritte, bis wir auf einen dunkelbraunen Wagen vor uns stießen. An ihm lehnte sich ein schwarzhaariger Mann mit Schnurbart an, der gen Himmel starrte und genüsslich eine Zigarre rauchte. »Wohin des Weges?«, fragte er uns und senkte den Kopf.
»Wir wollen nach Halunzia«, antwortete ich. Ich glaube, es war der Taxifahrer, der uns schon einige Male dazu motivierte, lieber zu Fuß zu gehen, als dann tatsächlich ein Taxi zu fahren.
»So? Ich will gleich auch dort rüberfahren, zu meiner Familie. Weil heute Weihnachten ist, nehm ich euch für lau mit«, meinte er, »Spirit of Christmas, und so«.
Er lachte dreckig, öffnete die rechte Hintertür. Ich sah Jack mit hochgehobenen Augenbrauen an. Ich glaube, er dachte genau dasselbe, denn er stieg ins Taxi ein. Füße schonen gegen mittelschwere Übelkeit. Kein schlechter Deal.
Ich stieg links ein, die Tür fiel dumpf ins Schloss. Wir machten uns schon auf einen Höllenstart bereit, indem wir die Arme um die Rücksitzlehne klammerten. Doch der Taxifahrer ließ den Wagen sanft an, und genauso fuhr er weiter.
Es war eine ziemlich kurze Fahrt, der Fahrer redete über die schlechte Qualität von tranadischen Socken, himmelte das freejanische Schnitzel hoch und meinte, dass um die Gerüchte, Atlantis könnte bald im Meer versinken, doch einiges dran sein könnte.
Wir rauschten über den Pfad, den wir ganz am Anfang unserer Reise beschritten haben und konnten weiter hinten schon die ersten Häuser von Halunzia sehen. Gedankenverloren starrte ich an die Scheibe, die mein Gesicht leicht widerspiegelte. Plötzlich rief ich aufgeregt: »Anhalten, anhalten bitte!«. Der Taxifahrer zeigte eine gekonnte Vollbremsung, und ich ärgerte mich im Nachhinein darüber, dass ich seinen rüden Fahrstil verdrängt hatte.
»Was, ihr wollt schon aussteigen?«, fragte der Fahrer mit munterer Stimme, »Haust ihr etwa vor den Toren im Walde?«.
»Nicht wirklich, aber wir suchen hier etwas Wichtiges.«. Mit diesen Worten stieg ich aus dem betagtem Fahrzeug. Jack öffnete die Tür, die leicht quietschend-knarrend aufschlug. »Danke fürs Mitnehmen und frohe Weihnachten!«, sagte ich dem Taxifahrer, ehe ich auch die Tür zuschlug. Ich sah durchs Fenster, wie er die Hand hochhob und dann davondüste.
»Jack, wir haben nie eine Bank ausgeraubt!«, sagte ich freudestrahlend. »Wie kommst du – Oh!« , hielt Jack inne, als er ein kleines Loch im schneebedeckten Boden sah. Ich beugte mich darüber und sah eine kleine Leinentasche voller Rupees. »Da war etwas gestern auf der Holztafel, was mir im Kopf hängen blieb«, meinte ich zu Jack, »Ein fürstlicher Zettel von der halunzischen Stadtwache. Vor kurzem wurde eine Bank ausgeraubt, die Täter wurden geschnappt, aber die Beute hat man nicht gefunden«.
»Okay, aber wieso glaubst du, dass das die gesuchte Beute ist?«, fragte Jack. Ich hob die Leinentasche an, in der Hoffnung das zu finden, was ich suchte. »Da steht in verschnörkelter Schrift Burgbank Halunzia drauf«, meinte ich schließlich.
Wir entleerten sogleich unsere Taschen und packten die Rupees in die Leinentasche.
»Hmm… Aber wie wir das Versteck wohl gefunden haben?«, fragte ich mich. Dann sah ich mich genauer um, und bemerkte, dass der Schnee um diese Stelle herum besonders aufgewühlt war. Anscheinend hatten wir hier gestern Nacht gegraben. Und dann fiels mir ins Auge: Im Weggraben lagen drei aufgerissene Pakete Toilettenpapier. Und kein Fußschritt neben dem Versteck waren zwei festgefrorene Scheißhaufen.
»Oh Gott…«, sagte Jack, der sich wohl grad erschloss, was passierte. »Ich glaube, wir mussten dringend mal und wollten unseren Haufen verstecken«, schlussfolgerte ich.
Und dann fiel mir ein zweiter Haufen neben dem Haufen auf, in dem der Leinenbeutel lag. »Wir haben zufällig die Beute ausgegraben. Da wir aber unser… Geschäft… vergraben wollten, haben wir einen zweiten Haufen ausgegraben. Unzurechnungsfähig wie wir waren, liegt da jetzt aber nur das gebrauchte Toilettenpapier«, meinte ich. Woher zum Teufel haben wir so viel Kackpappe bekommen?«, sagte Jack mit runzelnder Stirn.
Angewidert schob Jack mit seinen Damenstiefeln – ich wollte meine schönen Winterboots dafür nicht dreckig machen – die gefrorenen Scheißehaufen in ein frisch ausgegrabenes Loch rein, das ich sogleich wieder zumachte.
Wir nahmen den Leinenbeutel und schritten Richtung Stadtmitte. »Geh du schon mal zu unserem Ruderboot und mach es los, ich geh hier kurz rüber zum Wachtturm, um die Sache mit dem Bankraub aus der Welt zu schaffen«, sagte ich zu Jack. Vor dem Wachtturm stand ein weißer Wagen mit Sirene und grauem Schriftzug “Stadtwache”, daneben ein gleicher Wagen der Nachtwache. Ich schritt durch den runden Torbogen hindurch in ein orange beleuchtetes herrlich warmes Vorzimmer. Ich legte dem Wächter den Leinensack voller Rubine auf dem Tisch und erklärte ihm, dass wir es am Südtor fanden. Die wahre Geschichte erzählte ich besser nicht.
Er bedankte sich für die Ehrlichkeit und wollte nicht mal meinen Namen aufschreiben.
Ich schritt in den kühlen Winterabend, als ich den Turm verließ, und brach zum Hafen auf. Jack kam mir vom Holzsteg entgegen und deutete auf die Stelle, wo unser Ruderboot einst war. Ich schaute ins flache Wasser und sah, wie es mit einem zackigen Loch am Boden des kopfsteingepflasterten Hafenbeckens lag.
Plötzlich, ohne Vorwarnung, wurde alles um mich herum schwarz, und ich hatte wieder die blitzenden Bilder vor Augen. Ich sah Jack, wie er auf einem Holzpferd eine Straße runterritt, ich lachend nebenher lief. Dann sah ich eine längere Sequenz: Unser Boot am Steg in der Nacht, Jack schien an mir vorbei zu sprechen und formte lautlos mit seinem Mund die Worte “Haltet uns doch auf!”. Er nahm das Holzpferd und donnerte es volle Wucht ins Ruderboot, wollte schon einsteigen, bis er bemerkte, dass das Pferd volle Kanne den Boden durchschlagen hatte. Dann wurden die Bilder schneller, ich sah wohl Jack komplett durchnässt, ich, wie mir meine Nase tropfte, und ich mir irgendetwas rosanes überzog.
Ein schneller heftiger Atemzug später waren die Bilder weg, ich sah die Holzplanken unter mir. Ich hatte mich wohl abgekniet, ehe die wirren Bilder meine Sinne beraubten.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte mich Jack, der mir mit fragendem Blick ins Gesicht blickte. »Ja… Ich weiß jetzt, warum das Ruderboot unten liegt. Aber das ist jetzt auch egal, weil die nächste Fähre erst morgen fährt«, sagte ich.
»Verdammt, und rüberschwimmen ist zu riskant, so wie die Wellen schlagen«, sagte Jack, der aufs Meer blickte. Mir fiel jetzt erst auf, wie stark der Wind war.
Ich saß eine Weile auf dem Steg und blickte gedankenverloren gen Horizont, der allmählich von einer dunklen Wolkenfront verdeckt wurde. Der Wind rauschte schaurig laut über die Wellen. Mein Blickfeld verengte sich auf die schlagenden Wellen. »Ich habs!«, rief ich und sprang auf, »wir müssen sofort zur Müllhalde am Stadtrand!«.
Jack schaute sehr verwirrt, folgte mir aber schnellen Schrittes.
Wenige Minuten später waren wir am Stadtrand, der durch einen schmalen Streifen unberührter Natur vom Wald getrennt war. Wir schritten einen sandigen Pfad auf dem begrasten Streifen entlang, der nach mehreren Fußschritten links abknickte und auf ein offenes Areal inmitten des Waldes führte. Nur, dass es nicht leer war, sondern voller Müll. »Hilf mir, ein Gespann oder einen Drachen zu finden!«, rief ich Jack zu und lief einen kleinen Müllhügel hoch.
Es sollte keine Viertelstunde dauern, bis ich einige Holzbretter, Nägel, und ein Metallrohr fand, das man mit seinem stumpfen Ende als Hammer verwenden konnte.
Jack kam mir mit einem sehr großen Drachengestell entgegen. »Oh mein Gott, du hast doch nicht vor, dass wir nach Hause fliegen?«, fragte Jack entsetzt. »Doch genau das. Leg die Bretter so, wie ich sie lege und versuch die Nägel etwas reinzudrücken. Ich hämmer sie dann rein«, antwortete ich bestimmt. Ich schickte Jack an, Stoff zu holen, um zwei kleine Löcher im Drachen zu flicken. Gut zwanzig Minuten später war das Drachengestell fertig. Ich fasste die Halterung an und wackelte an ihr, um zu sehen, wie stabil es war.
»Hoffentlich ist der Wind stark genug«, murmelte ich. Jack fragte mich daraufhin direkt: »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob wir selbst bei Starkwind damit abheben könnten«.
Wir zogen das Drachengestell vorsichtig über die Müllhalde zum Grasstreifen. Auf dem Weg hielt ich inne, als ich im Müll etwas entdeckte. Es waren bessere gesagt gleich zwei Sachen.
Eine sehr breite und sehr lange Feuerwerksrakete lag auf einen Haufen pyrotechnischen Spaßzeugs. Ich setzte den Drachen ab und lief zur Rakete. »Jack, öffne den Feuerwerkskram und füll das Zündpulver in die Rakete«, meinte ich und schraubte den kegelförmigen Deckel ab.
Doch noch etwas anderes hatte meine Aufmerksamkeit erregt: Inmitten von alten Holzbrettern und zersplitterten Geschirr lag ein altes, verrauchtes Freeja-Cola-Glas. »Das ist ja ein Sammlerstück«, meinte ich, während ich das Glas drehte und das eingravierte Freeja-Cola-Logo aufblitzte.
Ich zeigte es Jack, der die Rakete bereits bis zur Hälfte mit dem schwarzen Pulver befüllt hat. »Für Cosmo?«, blickte er mich an und steckte es in seine Jackentasche. «Perfekt, ich nehme es mit!«.
Ich suchte nach einem Seil und fand ein langes Leinenseil, das ich mehrere Male um die Rakete, die Jack bereits auf die Mitte der Holzbalken vom Drachen gelegt hatte, und das Drachengestellt wickelte. Der Knoten saß fest, und so setzten wir unseren nicht ganz so leichten Marsch fort, denn das Gestell wurde immer wieder heftig vom Wind zur Seite geweht.
Eine halbe Stunde später erreichten wir den Hafen. Es war bereits dunkel geworden, der Himmel war komplett von einer riesigen Wolkendecke bedeckt. Die massiven eisenbeschlagenenen Holzfackeln um die Stege herum waren bereits entzündet worden.
»Okay, halte den Drachen gut fest, wenn wir ihn auf den Boden ablegen«, rief ich Jack durch den rauschenden Wind zu. Das Drachengestell wackelte erstaunlicherweise nur leicht.
Dennoch war ich mir nicht sicher, ob es auch auf hoher See halten würde.
»Ich suche was zum Zünden«, meinte ich und nahm die aufgerollte, mehrere Fuß lange Zündschnur mit. Jack hielt den Drachen am Boden fest, der sich am liebsten von Wind genau aufs Meer reißen lassen würde. Wenn wir Glück haben, steuern wir genau auf Silvercoast Island zu, das am Horizont noch leicht zu erkennen war.
Ich zog an der Zündschnur und ging zu einer Fackel, die eine herrliche Wärme ausstrahlte. Vorsichtig hielt ich die Schnur rein und rannte zum Drachen zurück.
»Okay, das ist jetzt Sekundentiming«, brüllte ich zu Jack durch den Wind rüber, als ich den Drachen anpackte. »Wenn die Zündschnur kurz vor der Rakete abgebrannt ist, müssen wir mit Schwung von der Kante abspringen«. Jack sah ziemlich verunsichert aus. Ich schwang mich unter den Drachen und lehnte mich auf die Holzplanke, die mich über das Meer tragen sollte. Nervös sah ich nach hinten, doch die Zündschnur schlug nicht wie erwartet sichtbare Funken, sondern glühte wohl langsam ab.
Einen Moment später konnte ich dann ziemlich gut den wandernden orangen Punkt erkennen, der sich ziemlich schnell zur Rakete hocharbeitete.
»Okay, vier, dr… Scheiße – LOS, JETZT!«, schrie ich und fast zeitgleich sprangen wir vom Boden ab. Für einen Moment sackten wir sehr schnell dem Wasser entgegen, bis ein lauter Knall und ein sprudelndes Geräusch uns verriet, dass die Rakete zündete.
Mit einem verdammt starken Ruck wurden wir nach vorne katapultiert und rauschten in die Höhe.
Das ganze Holzgestell war am Klappern und die Rakete war so laut, dass ich mein eigenes euphorisches Gejohle kaum hören konnte. Es war ein herrliches Gefühl, durch die peitschende Luft zu jagen und unter mir zu sehen, wie die blaugrauen Wogen unter mir immer kleiner wurden. Die Luft schlug mir klar, kalt und frisch ins Gesicht.
Wir blieben nach einer Weile auf gleichbleibender Höhe und der Wind rauschte nicht mehr ganz so laut und stark. Nur das Zischen der Rakete blieb unvermindert stark.
Silvercoast Island wurde immer größer und ich konnte schon die ersten Lichter am Hafen gut erkennen. Der Wind riss uns jedoch ziemlich weit vom Kurs ab.
Ich zog die Holzplanke, die zwischen mir und Jack nach unten rausragte, mit aller Kraft zu mir und die mit Tüchern bespannte Plane auf dem Drachen drehte sich nach links.
Mit einem ächzenden Geräusch fing das ganze Gestell an zu vibrieren, ich klammerte mich fest an die Holzplanke. Wir steuerten jetzt direkt auf den Strand zu, der immer schneller auf uns zu kam. Das ganze Gestell vibrierte und mit ihm mein ganzes Blickfeld, als der Strand zum Greifen nah wurde. Das Rauschen der Rakete setzte endlich aus, doch wir waren immer noch viel zu schnell im Sinkflug.
»SCHEIßE, WIR BRECHEN UNS ALLE KNOCHEN«, brüllte ich, doch der Wind zertrümmerte jeden Laut.
Wir versuchten wie die blöden den Drachen nach oben zu reißen, doch wir rauschten bereits knapp über dem Strand leicht seitlich auf Jacks Haus zu. Die Gebäude des Hafens zogen an unseren Seiten viel zu schnell vorbei und mit einem lauten Knacken zerfetzte der rechte Flügel an einer Palme.
Ich schloss die Augen. Wir überschlugen uns mindestens zwei Mal. Als ich die Augen wieder öffnete, war mein Gesicht ganz nah am Sand, das Café unter einer dunkelgrauen Wolkendecke und mit einem Affenzahn flog eine dunkelbraune Holzplanke drehenderweise an uns vorbei.
Kapitel 7
In meinem Kopf drehte sich noch alles. Die Landung war nicht gerade sanft. Ich sah mich kurz hektisch um und entdeckte Chris neben mir. Er rieb sich gerade am Kopf. »Alles klar?«, fragte ich ihn. Nachdem er realisiert hatte, dass wir es geschafft hatten, sprang er euphorisch hoch. »Es hat funktioniert! Verdammt es hat funktioniert!« Doch kurz darauf hörte er wieder auf und fasste sich am Rücken. »Aua… Ja im Großen und Ganzen noch alles dran. Bei dir?« Ich sah mich eben um… Wir sind ziemlich in der Nähe vom Hafen gelandet. Dann stand ich langsam auf. »Jap auch, danke. Das Glas ist auch unbeschädigt. Genauso wie die Blume für Malon.« »Sehr gut! Nun Beeilung! Vermutlich warten alle schon!« Obwohl wir einige Prellungen hatten, gingen wir ziemlich energievoll in Richtung Jasra Café. Es war ein sehr beruhigendes Gefühl wieder auf Silvercoast Island zu sein – endlich zuhause… Wir sind gerade an meinem Haus vorbei, als ich Chris unsanft anhielt. »Stop!« flüsterte ich halblaut. Ich gab Chris ein Zeichen mit in mein Haus zu kommen.
Drinnen angekommen suchte ich übereilt den Wasserfall auf, damit ich die Flasche etwas Säubern konnte. »Wir haben die Flasche aus dem Müll rausgekramt! So können wir die doch nicht Cosmo übergeben!« »Ja, stimmt wohl.« Chris nickte verständnisvoll. »Los! Such schnell eine Blumenvase oder so. Wir können die Blume ja nicht einfach so im Ganzen übergeben.« Chris zögerte keinen Moment und verschwand schnell im Nebenzimmer.
Etwa zeitgleich, als ich die Flasche gesäubert hatte, hatte Chris die Blume bereits in einer mit Wasser gefüllten Vase in der Hand. »Wunderbar! Auf geht’s!«
Wir stürmten aus meinem Haus und rasten über die kleine Brücke, die zu dem Café führt. Dort angekommen hätten wir fast in der Eile die ganze Tür mitgenommen. »Frohe Weihnachten!« Rief ich laut durch das Café. Chris tat gleich darauf dasselbe. Wir ernteten sehr geschockte und verwunderte Blicke von Cosmo, Nylo, Birf, Malon und Steffen, die sich alle um den Kamin versammelt hatten. »Frohe Weihnachten Jack.. Warum zum Teufel trägst du Damenstiefel…?«, fragte mich Cosmo halb erfreut und halb entsetzt. Jetzt fiel mir erst auf, dass ich tatsächlich noch die Damenstiefel trug. Ohne groß zu Zögern zog ich sie schnell aus und warf sie nach links weg. »W-Welche Damenstiefel? Seh keine.« Nylo fing plötzlich an heftig zu lachen. Der Anblick musste ja seltsam gewesen sein. Ich überreichte ohne großes Herumgerede Cosmo sein Geschenk. »Frohe Weihnachten, Cosmo! Sieh mal, ein Sammlerstück. Ein knapp hundert Jahre altes Glas von Freeja Cola. Das ist mehrere hundert Rupees wert!« Ich sah schon wie Cosmos Augen glänzten. Da er mal als Aushilfe bei der Freeja Cola arbeitete und er eine gewisse Neigung dafür hat, freute er sich ziemlich. »Vielen Dank, Jack!« Chris folgte meinem Beispiel und überreichte Malon die Blume. »Für dich, Malon. Eine seltene, im Winter blühende Blume! Sie heißt… heißt…« Plötzlich herrschte Stille. Jeder wartete auf Chris. »Malonblume. Ganz selten!« Auch wenn sie ihm nicht wirklich glaubte, freute sie sich doch sehr darüber. »Was zum Teufel ist mit Euch passiert?«, fragte uns Birf. Wir setzten uns erstmal zu der Runde. »Lange Geschichte… Viel zu lange Geschichte… Es fing alles damit an, dass wir noch auf Geschenkesuche waren…« Im Verlauf des Abends erzählten wir die ganze Geschichte. Wir ernteten teils merkwürdige, teils angewiderte, teils gespannte und teils erfreute Blicke. Alles im Allem war es doch ein sehr verrücktes Abenteuer. Nachdem alles erzählt war und wir uns wieder normale Sachen anziehen konnten, ging die richtige Bescherung los! Jeder kam auf seine Kosten – und jeder konnte nachher auch was kosten. Denn es gab ein verdammt leckeres Weihnachtsessen, das die anderen vorbereitet hatten! Die Stimmung war sehr gut an dem Abend und es wurden noch viele Geschichten erzählt und auch viel gelacht. Und als wir zu erschöpft waren, gingen wir dann auch alle ins Bett. Cosmo blieb sogar noch bis Silvester. Dass dabei fast mein Haus in die Luft flog ist aber eine andere Geschichte. Die Feiertage waren sehr aufregend und auch wenn sie teilweise sehr anstrengend waren, hoffte ich doch auf sehr viel Freude im nächsten Jahr!