Ein Ticket für Vier

geschrieben von Jack Jasra, Chris Jasra und Spladex Jasra

Prolog. Auf den letzten Drücker

M

it einem kräftigen Ruck riss ich meine Haustür auf. Ich warf einen panischen Blick auf die kleine Uhr, die auf dem Tresen der Garderobe stand. Sie zeigte 23:55.
  » Jack?! «, hörte ich Nylo rufen.
  » Da sind wir, ihr Wich… netten Menschen! « Chris hatte wieder einen gewissen Wahnsinn in den Augen und fing manisch an zu lachen.
  » Frooohe Gexnachten! Höhö.«, rief Cosmo voller Freude.
  » Was, echt? Ich dachte heut ist Weihnachten. «, sagte Max in einem Ton, bei dem man wieder nicht heraushören konnte, ob es Sarkasmus war oder nicht.
  » Guten Abend und ein super duper fröhliches Weihnachten an alle! «, rief Martin hinter mir durch den Gang.
  » Wir sind da – wer nooch? «, rief ich hinterher, damit ich auch irgendwas sagte.
Martin, Chris, Cosmo und ich standen schnaufend in der Tür. Ein kalter Wind zog an uns vorbei und wehte Schnee in den Flur hinein. Martin setzte das mitgenommene, riesige Geschenk ab, was er bei sich trug und klopfte sich stolz in die Hände. Chris, dem wohl schon kalt wurde, schloss die Tür hinter uns.
So langsam kamen alle aus dem Wohnzimmer heraus und sahen uns recht verwundert an.
  » Mensch, da seid ihr ja richtig früh dran, ihr Splasher. «, rief Finn und versuchte dabei genervt zu klingen. Man sah ihm aber an, dass er sich trotzdem freute, uns zu sehen.
  » Wir dachten schon fast, ihr schafft das nicht mehr oder verreckt irgendwo in der Wildnis von Heela, ihr Arschnasen! «, schnauzte Tessi uns besorgt an. Ein Rülpser tönte aus der Toilette, gefolgt von Conni, der die Tür öffnete.
  » Ach, ihr seid ja auch da, hah! Amenakoi. «
  » W-Wat? Cosmo? Wieso trägst du Lippenstift?! « Nylo sah sehr geschockt aus.
  » Junge, wieso fehlt dein rechtes Hosenbein. Was geht da ab, Chris. «, fragte Finn ihn.
Ich ging in Richtung Wohnzimmer und machte eine Geste, dass mir der Rest folgen sollte.
  » Lange Geschichte, Leute. Viel zu abgefahrene Geschichte. « Der Kamin war schon an und die Wärme tat tatsächlich richtig gut. Ich warf mich auf einen freien Sessel und lies mich erstmal einsacken. Der Rest der Familie gesellte sich zu mir. Es waren so viele gekommen! Nylo, Phil, Steffen, Conni, Max, Finn, Tessi und sogar Birf, die geile Sau!
  » Was hat das denn jetzt so lange gedauert? Hat euch euer Zuhälter nicht früher vom Strich gehen lassen? «, witzelte Phil.
  » Tjahaha. Da sagst du was. « Ich räusperte mich. » Also… es lief so ab.




I. Wilder Ritt

C

hris drehte sich zu mir.
  » Jack?! Meinst du meine Pisse würde direkt einfrieren, wenn ich hier jetzt hinstruller? «  Eine alte Frau, die auch hier am Bahnhof von Skrattadamm stand, sah ihn sehr verstört an. Chris, wie gewohnt, achtete wenig bis gar nicht auf die Reaktion anderer Menschen in der Öffentlichkeit.
  » Da bin ich mir nicht sicher, aber ziemlich sicher ist, dass die dich wohl direkt einbuchten, wenn du hier in aller Öffentlichkeit den Lümmel aus der Hose nimmst. «, sagte ich trocken. Chris fing an laut zu lachen. » Ich mag die Ortschaft hier. Hier ist alles so ruhig und ländlich. Es wirkt alles so familiär! Sogar noch familiärer als New Andora. Zwar nicht so familiär wie Silvercoast Island, aber hier würd ich wohl auch wohnen, hätte ich nicht schon ein teures, von erbeutetem, antiken Gold finanziertes Haus auf einer Trauminsel. «, fügte ich hinzu und wechselte somit abrupt das Thema.
  » Erinner mich bloß nicht an New Andora, Jack. Ich krieg immer noch Panikattacken, wenn ich Rosenbüsche sehe. «, antwortete mir Martin, und legte das riesige Geschenk ab, was er die ganze Zeit vor sich hielt. Er sagte uns nur, dass alle staunen würden und dass das für alle ist zur Bescherung. Groß machte ich mir darüber keine Gedanken mehr, da mich das unruhige Schneewetter zu sehr damit beschäftigte, meine Körperwärme bei mir zu halten.
Wir waren gestern Abend zu Martin gefahren. Einerseits um ihn einfach mal zu besuchen, weil wir tatsächlich noch nie bei ihm waren – und andererseits um ihn mit zur Weihnachtsfeier zu nehmen, die heute, am 24. Dezember, in meinem Haus auf Silvercoast Island stattfinden sollte. Unser Zug von Skrattadam nach Heela sollte in wenigen Minuten ankommen. Diese wenigen Minuten kamen mir aber langsam wie Stunden vor – gerade, weil das Wetter im Moment nicht wirklich unser Freund war. Es war eisig kalt und ein beißender Wind peitschte uns Schnee ins Gesicht. Da half es auch nicht, dass der Sekundenzeiger der Bahnhofsuhr ein Ticken schneller ging und dann fünf Sekunden auf der vollen Minute wartete um den Eindruck zu erwecken, dass die Zeit schneller verginge. Da ich das aber leider bemerkte, wirkte das bei mir auch nicht mehr.
Martin spielte bereits unruhig an seiner Armbanduhr rum. Nach nur kurzer Zeit konnte man schon das entfernte Dampfen und Rauschen unseres Rückfahrtsgefährtes vernehmen. Fast zeitgleich drehten wir uns alle in die Richtung des Geräusches. Ein eisiger Wind wehte an uns vorbei und der Zug hielt mit einem lauten Zischen an. Die Türen gingen automatisch mit einem lauten Geräusch auf und als erstes kam ein Schaffner herausgehuscht, der unzufrieden mit seiner Nase runzelte. Er sah eindeutig so aus, als ob er es kaum erwarten konnte wieder in den Zug zu steigen.
Martin ging zielsicher auf einen Wagon zu – und obwohl er sehr vertraut mit der Gegend hier war, und mit einer Gangart dort hinging, die suggerierte, dass es in diesem Wagon sicher bessere Plätze geben müsste – wurde ich das Gefühl nicht los, dass da kein Sinn dahinter steckte und er willkürlich auf irgendeinen Wagon zulief. Aber was weiß ich schon von Zügen, dachte ich. Von Silvercoast Island aus fuhr bis jetzt auch noch kein Zug ab. Ich lachte und musste für Außenstehende super dumm aussehen, da ich wieder über meinen eigenen Spruch lachte, den ich mir nur in Gedanken sagte.
Chris und ich folgten Martin wortlos und zu dritt stiegen wir die kleinen Treppen hinauf in den Wagon. Hier im Zug herrschte eine ganz andere Temperatur als draußen – und das war tatsächlich das erste, was mir direkt so auffiel und nebenbei gesagt auch super glücklich machte. Wir quetschten uns durch die Gänge und suchten einen leeren Platz, wo wir uns genüsslich zu viert gesellen könnten. Das war tatsächlich keine schwere Aufgabe, da der Zug fast leer war. Zu Heiligabend fuhren wohl nur die wenigsten Leute mit dem Zug. Die wenigen Leute, die ich aus dem Augenwinkel heraus betrachten konnte, wirkten eher wie Obdachlose, oder Feiernde der letzten Nacht, die noch nicht aus dem Suff aufgewacht waren.
Martin warf sich an einen Fensterplatz, Chris setzte sich wortlos daneben und schnaufte. Ich setzte mich gegenüber von Martin ebenfalls ans Fenster. Ich saß immer lieber am Fenster und betrachtete während der Fahrt unheimlich gerne die Landschaft, die an einem vorbeizog.
Als ich so verträumt durchs Fenster sah, merkte ich, dass die Aussicht gar nicht so geil war. Unter dem Vordach am Bahnhof bekamen wir, wahrscheinlich glücklicherweise, nur sehr wenig von dem Schnee mit, der sich überall breitmachte. Das Wetter entwickelte sich ganz langsam von einem ungemütlichen Schneeschauer zu einem richtigen Schneesturm und so langsam kam die Angst auf, dass wir es nicht rechtzeitig nach Hause schaffen würden, sollten wir in so einem Wetter fest sitzen. Und erst jetzt blühte es mir, dass es vielleicht – mal wieder – keine so gute Idee war, auf dem letzten Drücker vor Weihnachten irgendwelche Dinge zu tun.
Martin streckte sich und gähnte.
  » Hach ja, was für ein Leben. Stellt euch vor wir wären jetzt im Mittelalter. Dann hätten wir entweder laufen oder ne Kutsche nehmen müssen! « Chris sah ihn skeptisch an.
  » Maddin, wenn wir im Mittelalter wären, könnten wir uns nicht mal ne Kutsche leisten. Außerdem wären wir wohl eh schon an Altersschwäche oder an der Pest gestorben. « Chris Direktheit amüsierte mich wieder sehr. Ich seufzte und lehnte mich mit der Wange an das Fenster. Jedoch zog ich mein Gesicht wieder ruckartig zurück, nachdem ich spürte, dass die Scheibe super kalt war. Mich überkam eine leichte Müdigkeit, da wir bei Martin tatsächlich nicht viel Schlaf bekamen. Aber na ja, so ist das halt, wenn man irgendwie bei einem Freund schläft und die Gespräche sich dann tief in die Nacht ziehen und man nicht schlafen kann, weil dann plötzlich ganz triviale Themen wie die richtige Einhängrichtung des Klopapiers ein feuriges Thema ergaben. Aber so schlimm war das nun auch nicht, dachte ich. Es hätte ja wesentlich schlimmer kommen können. Und das war es dann doch wert. Der Gedanke, dass heute Weihnachten war, vertrieb aber jeden negativen Gedanken der Müdigkeit. Man konnte Weihnachten beinahe schon riechen! Ich machte einen tiefen Atemzug und wollte die Essenz von Weihnachten direkt in mich aufnehmen. Unglücklicherweise vernahm ich nur den Geruch von abgestandenem Bier. Ich runzelte die Stirn und seufzte.
Chris bückte sich über den kleinen Tisch und ging ganz nah an mich ran.
  » Wuuuuurst. « Ich erschrak kurz, weil er mich aus der Ruhe riss.
  » Chris, du Fickfresse. Merkst du nicht, dass ich noch nicht ganz wach bin. « Chris lachte nur. Ich blickte wieder aus dem Fenster, an dem mittlerweile die Landschaft an mir vorbeizog – und zu meiner Aufmunterung wurde das Wetter tatsächlich besser und einige blaue Flecken ließen sich am Himmel erkennen. Der Zug hielt an – die Haltestelle konnte ich jedoch gerade nicht erkennen. Nach einigen Momenten bekam ich ein unglaublich unheimliches Gefühl, weil ich spürte, wie jemand bei uns am Gang stand – so als ob er sich zu mir setzen wollte. Mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck blickte ich auf.
  » Hallöchen Leute! Ihr seht ja super wach aus! « Meine schlechte Laune verflog mit einem Schlag! Es war Cosmo! Diesmal erschrak Chris, der ihn gar nicht kommen sah.
  » Cosmo du olle Sau! Setz dich! «, rief er anschließend. Auch Martin klatschte freudig in die Hände und wies einladend auf den leeren Platz neben mir. Erst jetzt kam mir in den Sinn, dass Cosmo ja im Zug zusteigen wollte um uns dann auch gleich etwas Gesellschaft zu leisten. Tatsächlich freute ich mich gerade unheimlich, dass neben mir Cosmo saß und keine Betrunkener, dem das ranzige Bier noch im Bart hing.
  » Mensch, Leute. Ich bin richtig froh, dass wir wieder bei euch feiern. « Chris und Martin lachten gezwungen – weil jeder wohl noch etwas geschockt von Halloween war. Ich sah Cosmo das letzte Mal tatsächlich zu Halloween.  » Und, dass Nylo nicht hier ist, der dann wieder in irgendwelche fremde Häuser reinläuft und ich hinterher muss. « Cosmo grinste, hörte aber auf, als er Martins riesiges Geschenk erblickte. » Oha. Was ist da denn drin? «, fragte Cosmo neugierig und deutete auf den glitzernd verpackten Karton. » Ein Kilo Elefantenscheiße? « Chris brüllte los vor Lachen.
  » Das hab ich ihn auch gefragt! «, bemerkte Chris und freute sich wohl innerlich, dass Cosmo auf dem gleichen, dummen Niveau war wie wir.
Martin grinste und guckte uns alle nacheinander mit einer langsamen, nickenden Kopfbewegung äußerst stolz an.
  » Das werdet ihr noch sehen, meine Besten! «
Mit einem lauten, ächzenden Geräusch drückte es mich mit aller Gewalt in den Sitz hinein! Cosmo schrie neben mir auf, konnte jedoch die Arme nicht rechtzeitig genug heben. Das Geschenk von Martin flog ihm direkt in die Fresse. Chris, der davor zu einem weiteren, geflüsterten „Wurst“ ansetzte, machte einen Satz nach vorne und lag quer über mir. Der ganze Wagon schrie auf, als der Zug lautstark eine Vollbremsung machte!
  » Wir bitten um Verzeihung. Wegen einigen technischen Schwierigkeiten ist unser Zug defekt. Bei unserer derzeitigen Position müssen wir damit rechnen, dass Hilfe erst in zwei bis drei Stunden mit dem richtigen Werkzeug ankommt. Wir entschuldigen uns für die Umstände und bitten Sie um Geduld. Unser Personal wird Sie kostenfrei mit Essen und Trinken versorgen. Vielen Dank für Ihr Verständnis. «, tönte es krächzend aus dem Lautsprecher.
  » Was?! Zwei bis drei Stunden?! Jetzt hackt es gleich! «, schrie Cosmo entsetzt, der gerade eben das Geschenk von Martin aus seinem Gesicht zog. «
Chris, der sich wieder aufrichtete und sich schnell wieder auf seinen Platz setzte, damit es nicht zu sehr nach einer homoerotischen Szene aussah, rückte seine Kleidung zurecht und holte dann tief Luft.
  » Dann entspannen wir uns eben bei gutem Essen, oder? Vielleicht haben die ja sogar Apfelströöl oder… oder Crêpes! « Chris hatte plötzlich ein Funkeln im Auge.
  » Crêpes?! Chris, du kannst froh sein, wenn die dir ne Tüte Erdnüsse geben. «, meinte Martin.
  » Was, keine Crêpes?! Ich will mein Geld zurück! Wo sind meine Crêpes!! «, schrie Chris ganz laut und erregte wieder die Aufmerksamkeit von fremden Menschen.
Cosmo jedoch murmelte wütend vor sich hin und stand dann auf.
  » Leute ich bin nicht extra zu euch in den Zug, damit wir hier rumgammeln! Kommt, wir gehen, damit wir es noch rechtzeitig nach Hause schaffen! «, meinte er und stürmte auf eine der Türen zu. Bevor wir irgendetwas sagen konnten, öffnete er die Tür und stieg aus.
Unschlüssig und geschockt sah ich Chris und Martin an. So hatte ich mir Weihnachten gerade nicht vorgestellt.
  » Na gut, Leute. Hinterher. « Scheiß drauf, dachte ich. Martin nahm sein Geschenk, bei dem man noch deutlich den Gesichtsabdruck von Cosmo sehen konnte und stand auf. Zu dritt verließen wir den Zug und stapften im Schnee Cosmo hinterher.
Schnaufend rannten wir ihm hinterher, bis wir langsam aufholten.
  » Cosmo, weißt du überhaupt in welche Richtung wir müssen?! «, fragte ich ihn bestürzt. Cosmo nickte fachkundig und zeigte in eine Himmelsrichtung.
  » Da. «, sagte er sicher. » Oder.. da? Ne, da ist gut. « So langsam war ich mir sicher, dass wir einfach hier irgendwo im Schnee verrecken oder irgendein Bär uns frisst. Ich zuckte mit den Schultern und ließ das Schicksal einfach auf mich zu kommen.
Wir stapften gefühlt eine Stunde durch den Kniehohen Schnee, bis Cosmo anhielt.
  » Was ist los, Cosmo? Musst du mal kacken? «, fragte Chris.
  » Nee. Ich fäll nen Baum! « Jetzt wusste ich nicht, ob Cosmo das ernst meinte, oder ob der Frost schon sein Hirn erreichte. » Seht euch diesen Baum an! Wär der nicht perfekt für Silvercoast Island? «, meinte er mit einer krankhaften Fröhlichkeit. Martin luscherte über sein Geschenk hinweg.
  » Genau! Wir haben ja sonst nix zu tragen. Vielleicht fragen wir den Baum einfach nett, ob er von selbst mitkommt?! «, rief Martin schwer atmend über sein Riesenpaket hinweg.
  » Aber Cosmo, wir haben schon einen schönen Baum bei uns. Jetzt lass uns weitergehen, bevor wir wirklich zu spät ankommen! «, kommandierte ich und scheuchte ihn mit den Händen weiter. Ich weiß nicht wie viel Zeit tatsächlich vergangen war, aber nach einer gefühlten, halben Ewigkeit meinte ich Geräusche aus der Entfernung zu hören.
  » Jack, wieso hältst du jetzt an? «, fragte Chris schon beinahe genervt.
  » Hört mal. Also entweder geht von einem von uns die Luft aus oder das sind tatsächlich Autos in der Ferne. Hört ihr das? Aus der Richtung! « Ich zeigte mit dem Finger in die Richtung, von der die Geräusche kamen. Alle spitzten die Ohren und hielten einen Moment inne.
  » Tatsache. Jack hat recht. « Chris freute sich sicher, dass er das als Erster bestätigen konnte. Deshalb nickte er wohl so grinsend. Plötzlich fuhr wieder das Leben in uns und wir schritten eine Weile in die Richtung, bis wir an einer höher gelegenen Stelle kamen, von der aus man ein wunderschönes, lauschiges Dörfchen entdeckte. Der Anblick – gepaart mit den Sonnenstrahlen, die sanft über die Wolken hereinbrachen – war unglaublich malerisch.
  » Seht euch das mal an. Jetzt müssen wir doch nicht verrecken. «, meinte Cosmo – die Arme an der Hüfte. » Ist das nicht wundervoll Chris? « Chris nickte bestätigend. » Endlich Zivilisation, nicht wahr Jack? « Cosmo schien gerade jeden nacheinander anzusprechen.
  » Jap. Wundervoll. So eine Szene könnte ich mir direkt an die Wand hängen. «, antwortete ich ihm.
  » Jetzt sind wir da, was Martin? « Martin gab jedoch keine Antwort und starrte katatonisch nach vorne.
  » Martin sieht sich das später an. Ich denke, seine Augen sind zugefroren. «, sprach ich an Martins Stelle. Maddin jedoch schüttelte sich, legte dann wohl zur Entspannung sein Geschenk ab, indem er es einfach auf den Boden fallen ließ. So im Nachhinein war das absolut keine gute Idee, denn der Aufprall des Geschenkes löste die Schneefläche, auf der wir standen und jagte uns von einem auf den anderen Moment den Abhang hinunter, während wir erschrocken schrien. Alles drehte sich und bewegte sich! Als die Bewegung mit einem Ruck aufhörte und ich nur noch Schnee sah, sprang ich auf und spuckte. Es war doch kein so geiles Gefühl, Schnee im Mund und in der Nase zu haben. Nach und nach explodierten Schneehaufen aus dem sich wie ein wildes Tier schüttelnd und schreiend Personen erschienen, die ich als Chris, Martin und Cosmo identifizieren konnte.
Wir landeten ziemlich nah an einer Straße, an der ein sehr alt, aber edel wirkendes Auto anhielt. Ein ebenfalls sehr alt wirkender Mann schraubte das Fenster hinab und sah raus.
  » Frohe Weihnachten! Die Herren sehen sehr verwirrt aus. Wo wollen Sie denn hin? «, fragte er recht freundlich.
Ich klopfte mir den Schnee aus der Jacke und dem Schal und sah anschließend den Mann im Oldtimer an.
  » Ihnen auch frohe Weihnachten! Ehm, naja. « Ich hustete kurz. » Wir wollen eigentlich nach Silvercoast Island. Unser Zug hatte nämlich einen Defekt und dann sind wir aus dem Wald heraus hierher gelaufen. « Der Mann lachte.
  » Wenn Sie wollen, würde ich Sie nach Heela mitnehmen! Steigen Sie ein! «, die einladende Freundlichkeit des Herren überraschte mich positiv.
  » Wie lange fahren wir denn von hier nach Heela? «, fragte Cosmo, der genauso wenig wie wir Ahnung hatten, wo wir genau waren.
  » Bei mir dauert die Fahrt nur eine Stunde! Kommen Sie, gesellen Sie sich zu mir. Und Sie da mit dem Geschenk – das können Sie gerne in den Kofferraum packen. «
Martin watschelte mit seinem riesigen Geschenk zum Kofferraum und verräumte es direkt darin. Vorsichtig schloss er die Kofferraumtür und stieg hinten ins Auto. Chris und Cosmo stiegen zu ihm und ich setzte mich auf den Beifahrersitz. » Es gibt nur noch vier davon im ganzen Land – und die gehören alle mir! «, sagte der Herr stolz und zeigte auf sein Auto.
  » Oh Sie sind Sammler? «, fragte Martin.
  » Nein, aus den drei anderen hol ich mir Ersatzteile. « Er startete den Wagen. » So! Nun halten Sie Ihre Hüte fest! « Mit einem sanften Schnurren bewegte sich das Auto von der Stelle.
Es war ein wundervolles Gefühl wieder zu sitzen. Und zwar in einem warmen Auto. Ich blickte aus dem Fenster und machte Ortschaften aus, die mir komplett fremd waren. Ich hörte plötzlich ein lautes Geräusch. Als ich mich nach links umdrehte, sah ich, wie ein Bus uns überholte. In dem Moment fiel mir dann auch auf, dass wir recht langsam fuhren. Ich sah zu Chris, der bereits ungeduldig die Arme verschränkte.
  » … Haben wir jetzt die Höchstgeschwindigkeit erreicht? «, fragte er.
  » Er braucht ein paar Minuten bis er warm ist. Und dann brausen wir dahin wie der Wind! «, sagte er ganz entschlossen, während mehrere Autos ihn überholten.
Es verging einige Zeit, in der ich stumpf aus dem Fenster rausstarrte und ich mir dachte, dass wir gleich hätten laufen können.
  » Wir sind jetzt schon ne halbe Stunde unterwegs und der Wind ist schneller als wir. «, sagte ich in einem zynischen Ton.
  » Nun, wir fahren… « Er lehnte sich nach vorne und versuchte etwas von seinem Armaturenbrett abzulesen. » … 150 im Moment. «
  » Nein, das ist Ihre Uhr. Sie zeigt 15 Uhr. «, erklärte ich ihm.
  » Ach, achten Sie nicht auf die Uhr. Die geht immer kaputt. «
Entweder kam bei mir langsam der Wahnsinn durch, oder der Mann fuhr mit der Zeit immer langsamer. Meine Vermutung bestätigte sich, als uns plötzlich mehrere Fahrradfahrer überholten.
  » Hören Sie, nichts für ungut, aber… glauben Sie wirklich, wir schaffen den ganzen Weg nach Heela in einer Stunde? «, fragte Martin sehr skeptisch.
  » Wer hat das gesagt? «
  » Sie haben das vorhin gesagt. «
  » Oh nein nein neein! Da haben Sie mich missverstanden. Ich meinte Folgendes. Ich kann so fahren, dass einem die dreistündige Fahrt vorkommt wie eine Stunde! Genießen Sie die Landschaft, die Ruhe! Freuen Sie sich, dass sie gesund und munter sind! Auf diese Art hab ich es schon einmal in 42 Minuten geschafft! «, sagte der Greis stolz.
  » Ahh.. ja. « Cosmo nickte mit einem aufgesetzten Lächeln und warf uns anschließend einen verzweifelten Blick zu.
Der Mann nieste kurz.
  » Hui entschuldigen Sie bitte. Der frische Duft des Waldes hat stets eine berauschende Wirkung auf mich! «, erklärte der Herr.
  » Also, wenn Sie berauscht sind, würde ich mich gern als Fahrer zur Verfügung stellen. « Martin versuchte die Situation gerade so zu retten.
  » Nein nein nein, es geht mir gut! «
Chris schnaufte auf der Rückbank. Nach einer Weile stoppte das Auto.
  » Wieso halten wir an? «, fragte Cosmo.
Ich rüttelte dem Mann leicht am Arm. Er schien eingeschlafen zu sein.
  » Ähh. Hallo. Ist alles in Ordnung? «, fragte ich. Dann fing ich an zu lachen.
  » Herrje, ich glaube… er schläft. «, stellte Cosmo von hinten fest.
  » Wann war er denn mal wach?! «, fragte ich zurück. Chris beugte sich nach vorne.
  » Na gut, zieh ihn zur Seite. Ich fahre. «, meinte Chris, dem eindeutig der Geduldsfaden riss. Ich fühlte das Handgelenk des Mannes. » Worauf wartest du? Er wacht wieder auf und dann werden uns noch die Schnecken überholen. «
  » Nein, er wird nicht mehr aufwachen, er ist tot. «, antwortete ich.
  » Tot?! Woher weißt du das? «, fragte Cosmo.
  » Kein Herzschlag und kein Puls bedeutet tot. Was willst du denn, soll ich eine Autopsie machen?! Der Mann ist tot. « Ich seufzte lange.
  » Es ging zum Glück schnell. «, meinte Martin von der Rückbank aus.
  » Du bezeichnest fünf Kilometer die Stunde als schnell?! «, antwortete ich ihm. Ich schlug mir die Hände ins Gesicht.
  » Oh, oh… «, sagte Cosmo in einem leisen, beängstigenden Tonfall. Ich drehte mich um und sah, dass ein Polizeiauto hinter uns anhielt und sich Türen öffneten. Zwei Polizisten stiegen aus. Einer kam an mein Fenster, der andere gegenüber. Ich kurbelte das Fenster runter.
  » Sie wissen doch, dass Sie nicht mitten auf der Straße halten können? Bitte fahren Sie dort rüber.“, sagte der Polizist.
  » Um das tun zu können, müssten wir den Fahrer umsetzen… und wie Sie sehen ist er… «, sagte Cosmo vorsichtig.
  » Ist er krank? «, fragte der Polizist skeptisch.
  » Nein. «, antwortete Martin.
  » … ist er betrunken?! «
  »  Nein.. wie wärs mit tot? «, antwortete ich. Der Polizist griff ins Auto den Arm des alten Mannes und stellte fest, dass er keinen Puls mehr hatte.
  » Wie ist das passiert?! «, fragte er.
  » Wissen wir nicht. Wir denken, dass Gott herunterkam und ihn mitnahm. « Die Polizisten zückten fast zeitgleich ihre Waffen.
  » Ich fordere Sie auf, aus dem Wagen auszusteigen! «, rief er in einem nervösen Ton. «, erzählte ich allen.

Ich streckte mich und gähnte kurz. » Tja. Chris, wie wär‘s, wenn du weiter erzählst? Sag mal, was Cosmo dann gemacht hat, das anstrengende Stück Scheiße. «
 




II. Stoff-Fetzen

C


hris holte einmal tief Luft.
  » Nun, eigentlich ging es genauso weiter wie bisher – also vollkommen katastrophal «, sagte er.
Gespannt hörten alle zu.


  » Aaaalso… Wir saßen nun alle in dem Auto von dem toten Greis. Die Polizisten standen mit gezogener Pistole seitlich von uns und riefen uns dauernd zu auszusteigen.
  » Aber… er ist an Altersschwäche gestorben «, sagte Maddin.
  » Das klären wir gleich in aller Ruhe, aber jetzt erst mal raus «, sagte der eine Polizist, immer noch die Pistole gezogen. Maddin, der das riesige Geschenk immer noch fest umklammerte, Jack und ich stiegen langsam in Richtung Straßenrand aus – bis auf Cosmo…
  » Boah, das wird mir jetzt eindeutig zu blöd! Bis wir uns erklärt haben, ist Weihnachten längst vorbei «, sagte er, sprang von der Rücksitzbank auf und stolperte in den aussteigenden Maddin rein.
  » Niiicht «, rief ich. Das Geschenk samt Maddin fiel auf mich. Um meinen drohenden Sturz abzufangen, hielt ich mich an Jacks Mantel fest. Nun gerieten wir alle ins Straucheln und fielen durch den Schwung den Abhang hinter dem Straßenrand herunter.
Das letzte, was ich sah, bevor ich mich im weichen Schnee mehrmals überschlug, waren die verdutzten Gesichter der Polizisten, die ihre Waffen sogleich wegsteckten.
Wir rollten den schier endlosen steilen Abhang mit einem Affenzahn herunter.
  » Aaaahh kackee «, mehr brachte ich nicht hervor. Zwischendurch sah ich Jacks Gesicht für einen Bruchteil schreiend an mir vorbeirauschen. Auf einmal wurde die Abfahrt ziemlich komfortabel, denn wir hatten uns mittlerweile in eine große Schneekugel eingerollt.
Plötzlich flogen wir für einen Moment durch die Luft und unsere Schneekugel zerbarst mit einem lauten Krachen auf dem Boden.
Mir drehte sich der Kopf, aber verletzt hatte ich mich nicht. Ich schaute gen den rötlichen-dunkelblauen Abendhimmel.
  » Gehts dir gut Jack, Chris, Maddin? «, fragte Cosmo.
  » Gehts dir noch gut? «, raunte Jack zurück.
  » Sie müssen da unten sein, ruf Verstärkung «, hörten wir von weit oben den Polizisten rufen. Nun schwang der schimmrig-unscharfe Kegel einer Handlampe suchend den Abhang hinunter, der durch die winterliche Abendsonne sonst kaum angestrahlt wurde.
  » Los, rüber «, sagte Maddin und zog uns zum Vorsprung, der uns Sichtschutz bot. Ich sah mich um und bemerkte erst jetzt das Plätschern des Flusses vor uns und die schneebedeckte Vegetation drumherum.
  » Guck mal, keine Gewalteinwirkung… Ruf mal vorsichtshalber noch den Arzt an «, sagte der andere Polizist. Scheinbar sahen sie sich grad den Greis genauer an.
  » Ich glaub Cosmo hat Recht. Bis wir das durchgekaut haben, sind wir erst morgen wieder raus. Wir haben ja auch niemanden was angetan. Und den Anweisungen haben wir uns ja auch nicht entzogen – wir sind halt ins Straucheln geraten «, sagte Jack.
  » Nennen wir es mal Straucheln «, antwortete ich und guckte dabei Cosmo böse an.
  » Ich schlag vor, dass wir jetzt erst mal in Richtung Heela aufbrechen «, sagte Jack.
Also schritten wir gemeinsam den Fluss in die ursprüngliche Fahrtrichtung entlang. Über uns hörten wir die Autos entfernt vorbeirauschen.
Nach einer Weile meldete sich Maddin zu Wort:
  » Seht ihr das auch? «, sagte er und deutete vor uns auf eine in der herannahenden Dunkelheit kaum zu erkennende Brücke, die sich weit über den Fluss erstreckte. Die gusseiserne Brücke führte vom Wald rechts bergauf und verschwand leicht diagonal in den Abhang links von uns. » Das muss ne Eisenbahnbrücke sein! Kommt, wir springen von der Überführung da oben auf den nächsten Zug nach Heela! «, rief Maddin euphorisch und rannte den Hügel hinauf in Richtung Eisenbahntunnel.
  » Hey, hey, woher wissen wir, welche der Schienen die richtige Zugrichtung ist? «, fragte Jack.
  » Im Zweifel die, die der Fahrbahn am parallelsten ist «, rief Maddin zurück.
Wir gingen nun alle den Abhang hinauf. Die alte hölzerne Überführung über den beiden Bahngleisen sah mir nicht geheuer aus. Als wir sie bestiegen, hörte ich einen Güterzug aus dem Tunnel herannahen. Und keine 5 Sekunden später schoss wie aus dem nichts unter mir eine dampfende Lok die Brücke herunter. Die Überführung erbebte. Ich rutschte herunter und hing nun nur noch mit einer Hand am Stützpfahl. Unter mir rumpelten offenen Waggons um Haaresbreite an meinen Schuhen vorbei.
Die drei eilten mir zur Hilfe und zogen mich hoch. Gerade noch rechtzeitig, denn plötzlich schnappte aus einem der Güterwaggons ein Bär nach meinem Bein und zerriss meine Jeans.
  » Alter, was war das denn «, sagte ich, nachdem ich oben war. Der Zug raste in den Wald, der das Rattern der Waggons und das Brummen seiner pelzigen Ladung verschlang.
  » Bärenstark «, sagte Cosmo, den ich sogleich am liebsten mit etwas Fäustekirmes das Gesicht richten wollte.
  » Hey, guck, da kommt der nächste Zug nach Heela «, sagte Jack, der über die Brücke in Richtung Wald deutete. Eine Lichtquelle kam aus dem Wald empor und leuchtete die Bäume an. Ein edler Passagierzug in Dunkelblau bahnte sich langsam seinen Weg die Brücke hoch.
  » Nächster Halt, Heela, bitte einsteigen «, sagte Cosmo und schubste uns alle runter. Ich sah unter uns das gläserne Dach eines Abteils, durch das wir scheppernd fielen. Danach war ich weggetreten. » Alles gut der lebt noch «, hörte ich Cosmo. Ich kam langsam wieder zu mir. Mir drehten sich die Augen.
  » Hä, was war passiert? «, fragte ich. Ich sah rechts neben mir Maddin unter dem sichtlich mitgenommenen Geschenk begraben liegen. Das Geschenkpapier wies an den Ecken mehrere dunkle Abriebe auf und das Geschenkband war ausgefranst. Achja und Maddin war scheinbar bewusstlos.
  » Schnell, wir müssen aussteigen, das müsste Heela sein «, sagte Cosmo, der scheinbar aus den Fenstern schaute. Jack hakte ein:
  » Und was ist mit der zerstörten Decke? – Ist das nicht alles etwas illegal? «.
  » Hey, es ist Weihnachten «, sagte Cosmo leicht anstrengend und zog einen für das zerdepperte Glasdach angemessen großen Geldschein aus seiner Hosentasche und legte es auf dem Boden.
Ich stand auf und sah durch die großen Fenster, wie die vielen Häuser, in der Dunkelheit nur noch an den gelblich-orange leuchtenden Fenster erkennbar, immer langsamer an uns vorbei zogen. Ich rappelte mich rechtzeitig auf. Ein sanftes Bimmeln kündigte das Öffnen der doppelten Zugtüren an. Jack zog den taumelnden Maddin hoch.
Wir stolperten heraus, und scheinbar als Einzige. Weit und breit war kein Mensch auf dem Bahnhofsteg.
Maddin war ziemlich schnell wieder unter den Lebenden.
  » Ja und jetzt? «, fragte Maddin panisch, als er die Bahnhofsuhr erblickte. Sie zeigte 22:00 Uhr an.
  » Schnell, wir müssen jemanden in der Stadt finden, der uns zum Hafen bringen kann. Dort nehmen wir dann unser Ruderboot «, sagte Jack.
Cosmo, Jack und ich gingen die Treppen herunter, während Maddin diese mit seinem riesigen Geschenk herunterstürzte.
  » Du musst aber auch überall der Erste sein, oder? «, sagte Cosmo, als wir an der Straße ankamen. Es herrschte plötzlich eine mörderische Stille.
Vor uns erstreckte sich eine durchgängige Häuserreihe, deren erste Etagen festlich geschmückt waren. Ein warmes Licht leuchtete aus den darunterliegenden Schaufenstern und reflektierte gelblich-orange auf der gesamten Straße. An der Häuserecke hinten links bog ein Auto ab und verschwand sogleich hinter der Fassade.
  » Hey, da ist wer! «, jauchzte Cosmo und lief zum naheliegenden Taxistand. Dort war außer einer Frau mit blondem wallenden Haar und einem schwarzen modischen Hut, die neben einem leeren Taxi stand, keine Menschenseele. » Entschuldiguuuung «, rief Cosmo, der auf dem Bürgersteig ausrutschte und volle Kanne die Frau umhaute. Wir liefen hinterher, legten uns aber ebenfalls auf derselben Stelle hin. Vom Boden aus sah ich plötzlich, wie Cosmo seinen Kopf mit dem blonden wallenden Haar in die Luft reckte – scheinbar trug die Frau ehemals eine Perrücke.
Unvermittelt bog ein dunkelblauer Streifenwagen der heelanischen Nachtwache um die Ecke.
  » Die suchen uns! Verkleide dich – sonst wäre unsere Flucht umsonst gewesen «, rief ich Cosmo vom Boden aus zu. Er duckte sich, kramte in der Handtasche der Frau und schmierte sich sogleich einen dunkelroten Lippenstift ins Gesicht. Der Wagen kam näher und Cosmo hievte die bewusstlose Frau hoch, um den Eindruck einer dezent erotischen Szene zu erwecken.
  » –Nur eine Dragqueen, lass uns weiter «, sagte der eine Wächter durch die heruntergelassene Fensterscheibe. Nachdem der Wagen außer Reichweite war, standen wir auf. Die Frau kam langsam zu sich.
  » Wo bin ich? «, fragte sie, während Cosmo ihr die Perücke – leider falsch herum – aufsetzte.
  » Hey, Taxi «, rief Maddin und stolperte mitsamt Geschenk auf die Fahrbahn. Das heranfahrende Taxi machte eine Vollbremsung und touchierte das Geschenk. Nun sah es vollendst mitgenommen aus. Ein alter Bekannter schaute aus dem Fahrerfenster hervor und fragte, wohin wir wollen, während er einmal, wohl versehentlich, etwas Gas gab.
  » Oh Gott «, riefen Jack und Martin gleichzeitig – aber da wir es rechtzeitig zum Hafen schaffen wollten, blieb uns nicht mehr viel übrig «, erzählte ich.


  » Alter, das war ja richtig gefährlich «, sagte Finn.
  » Ja, aber auch total spannend «, sagte Tessi.
  » Und es wird noch besser «, kündigte ich breitspurig an.
  » Ah, ich hab da schon eine Theorie… «, sagte Max, doch Nylo fiel ihm sofort ins Wort:
  » Machs nicht so spannend – wie gehts weiter? «.
  » Den nächsten Part muss euch aus gutem Grund unbedingt Maddin erzählen «, schob ich vor, um auch mal endlich was vom Christstollen zu probieren. Ich nahm das große Brotmesser, achtelte den Rest vom Christstollen und legte eine halbe Scheibe zurück auf den Teller.




III. Reißender Wind

W

ährend ich zusah, wie Chris sich sein Stück Christstollen in einem Stück in den Mund schob, setzte Martin sich zu den anderen, die ihn bereits gespannt ansahen.
  » Alter Maddin, jetzt mach mal hinne, ich halts nicht mehr aus «, nörgelte Nylo. Vorsichtig legte er das übel zugerichtete, jedoch immer noch, dank Cosmos wundervollen Gesichtsnegativs, schön anzusehende Geschenk vor mir ab.
  » Ihr erratet nie, wer der Taxifahrer war «, erzählte ich den anderen mit einem breiten Grinsen.

» Es war der gute Heinz Eggert. Schnell winkte Jack auch Chris und Cosmo heran, damit auch diese den ungewöhnlichen Anblick bestaunen konnten. Nachdem wir uns alle im Taxi eingefunden hatten, ich auf dem Beifahrersitz mit dem Geschenk auf dem Schoß, platzte es aus Cosmo heraus.
  » Herr Eggert, wie kommt es, dass Sie nun Taxifahrer sind? Ich dachte sie erzählen den Menschen zu Weihnachten immer noch tolle Weihnachtsgeschichten? «
  » Leider lief es nicht mehr so gut mit den Weihnachtsgeschichten und New Andora TV hat mich rausgeworfen. Jetzt musste ich mir wohl oder übel einen anderen Job suchen, und hier seht ihr mich nun, als Taxifahrer. «, erzählte Heinz.
  » Wollt ihr vielleicht eine Weihnachtsgeschichte hören? «, fragte er uns grinsend. Wir guckten uns alle gegenseitig an, und Chris ließ ein lautstarkes
  » Aber gerne doch! « vernehmen. So räusperte er sich und fing an zu erzählen:
  » Der sechste Dezember ist Nikolaustag und der einzige, der das offensichtlich nicht gewusst haben kann, ist der Bischof Nikolaus selbst gewesen… « Jack guckte ungeduldig auf seine Uhr.
  » Leute, ich hoffe wir schaffen es noch rechtzeitig «, flüsterte er besorgt, um Heinz Eggert nicht zu unterbrechen.
  » Keine Sorge Jack. Die Pappnasen können auch noch warten «, versuchte Chris ihn zu beruhigen.
  » Ja, aber wir wollen zusammen Weihnachten feiern, und damit man das kann, muss man an Weihnachten zusammen sein und nicht einen Tag später «, brummte er zurück. Während wir so durch die Straßen von Heela tuckerten und Heinz seine Weihnachtsgeschichten erzählte, versuchten wir uns ein wenig zu entspannen und keiner von uns merkte, wie sich langsam unsere Augen schlossen.
Wir wurden alle durch Heinz Eggerts heftige Bremsung geweckt.
  » Wir sind da! «, verkündete er lautstark. Noch im Halbschlaf fragte ich ihn:
  » Wie viel kostet das Ganze? «
  » Nichts, Jungs. Ich wünsche euch frohe Weihnachten. Passt auf, dass ihr nicht in irgend einer Hintergasse verprügelt werdet. « Heinz lachte laut.
  » Wirklich?! Heinz… Du bist der Beste! Dir auch frohe Weihnachten! «, rief Jack mit einem Funkeln in den Augen. Nachdem wir ihm alle frohe Weihnachten wünschten, machten wir uns daran, auszusteigen. Plötzlich sah ich, wie Jack kreidebleich wurde.
  » Was ist los? « fragte ich.
  » Leute, wir haben nur noch eine halbe Stunde, um nach Silvercoast Island zu kommen! « entgegnete er. Ich musste schwer schlucken. Das war wirklich viel zu knapp, und wir alle wussten, mochten es jedoch nicht aussprechen, dass wir keine Chance hatten, es innerhalb einer halben Stunde mit dem Ruderboot bis nach Silvercoast Island zu schaffen.
  » Ich kenne da jemanden, der euch innerhalb einer halbe Stunde nach Silvercoast Island bringt «, meldete sich Heinz Eggert zu Wort. » Es gibt da einen Privatflugplatz am Rande von Heela. Da wohnt so ein verrückter Pilot, der macht das bestimmt für euch! « Nach einigen Bedenken wussten wir keinen anderen Ausweg aus dieser prekären Lage und da wir nicht zu spät zur Weihnachtsfeier kommen wollten, blieb uns nichts anderen übrig, als das Angebot von Heinz Eggert anzunehmen. Sogleich fuhr Heinz Eggert los. Fünf Minuten später waren wir auch schon bei besagten Privatflugplatz angekommen. Dieser lag ziemlich abseits von der Stadt, jedoch auch in der Nähe des Wassers, und als wir alle ausstiegen, fielen mir direkt zwei Gerüche auf: Auf der einen Seite war da dieser klassische, absolut wunderschöne Duft des Meeres, so wie ich ihn von Silvercoast Island kannte, als ich mal im Sommer da gewesen war, um Jack zu besuchen. Und dann war da noch ein anderer Geruch, der so stechend war und so unnatürlich vertretend, dass ich schon hörte, wie Jack hinter mir anfing zu würgen: Wodka. Wir verabschiedeten uns von Heinz Eggert. Als wir uns vom Taxi weg bewegten, sah ich noch, wie Jack zu Heinz ging und ihm etwas – von hier aus unverständlich – zuflüsterte. Jack überreichte ihm etwas, worauf Heinz einen sehr sentimentalen Blick bekam. Jack winkte ihm noch zu und schloss die Tür. Heinz setzte dann mit seinem rustikalen Taxi seine Heimfahrt an wir und bewegten uns auf die kleine Hütte zu die am Rand der Landebahn stand. Viel Zeit war jetzt nicht mehr, deswegen fand ich jetzt auch keine Zeit, Jack zu fragen, was er ihm noch sagte. Ich hechelte ziemlich, als ich versuchte die anderen mit meinem riesigen Geschenk einzuholen. Cosmo ging als erster durch die Tür.
  » Wer seid ihr?! Was wollt ihr?! «, schallte es uns gleich entgegen. Ich lugte hinter meinem Geschenk hervor.
  » Wir würden gerne einen Flug nach Silvercoast buchen «, sagte Cosmo in einem Ton, den er vermutlich öfter in seinem Amt benutzte. Die überaus bärtige, finster dreinblickende und wahrscheinlich stark alkoholisierte Person, schaute uns unglaubwürdig an und schwieg für eine Weile. Riss dann aber plötzlich die Augen auf.
  » Was?! Martin?! Du Hurensohn! Du hättest ja auch nicht Bescheid geben können, dass du hier mal auftauchst. «, sagte er in einem zynischen Ton. Jack wich erschrocken zurück.
  » Daniel?! Ich hab dich mit dieser beschissenen Mütze überhaupt nicht erkannt! «, rief er ihm zu. Auch Chris und Cosmo sahen jetzt erst, wer die Person war.
  » Daniel, hör zu. Wir müssen dringend nach Silvercoast Island. Vor Mitternacht. Geht da noch wat? «, fragte Jack ihn.
  » Yo klar. Ich bring euch nach Silvacoast *hicks* Island! « Jack schaute wieder einmal auf seine Uhr.
  » Leute, wir haben keine Zeit. Wir haben gar keine andere Wahl mehr als zu fliegen! « meinte Jack.
  » Und Selbstmord begehen? Daniel stürzt garantiert ab! «, beschwerte ich mich.
  » Kommt schon Leute, das wird lustig! «, sagte Chris mit einem Grinsen auf den Lippen.
  » Na gut. «, antwortete ich.

Wir stapften wieder zurück auf die Landebahn und Daniel führte uns hinter seine Hütte. Er brauchte geschlagene fünf Minuten, um den richtigen Schlüssel zu finden und den Schuppen aufzuschließen. Zum Vorschein kam ein altes, vor Rost strotzendes und sehr schlecht erhaltenes Flugzeug. Wir staunten aber aufgrund der Größe der Maschine nicht schlecht. Er machte eine Handbewegung, dass wir ihm helfen sollten die Maschine auf die Landebahn zu schieben. Unter Ächzen schoben wir das schwere Ding auf die Bahn und unser bärtige Freund machte sich daran, einzusteigen, wobei er sich fast mit dem Gesicht voran ablegte. Als wir dann alle inklusive Riesengeschenk auf der Rückbank des doch geräumigen Flugzeugs saßen versicherte sich Daniel noch einmal:
  » Ihr wollt.. also nach Silvercoast Island? «
  » Ja, genau! Und bitte schnell, wir haben nicht mehr viel Zeit bis Weihnachten vorbei ist! «, drängelte Jack.
  » Aalso gut, los geht’s! «, schrie er mit unnötig hoher Lautstärke und startete das Flugzeug. Unter Ruckeln und Ächzen quälte sich der Motor der Rostlaube und wir setzten uns in Bewegung. » Anschnalleeen! «, kam es von vorne. Wir sahen uns nach Gurten um, jedoch waren keine vorzufinden.
  » Daniel, du Stück Scheiße, hier sind gar keine Gurte! «, schrie Cosmo hysterisch.
  » Das war auch nur ein Witz! «, rief der er zurück und fing lauthals an, wie ein Wahnsinniger zu lachen. Und bevor wir wussten, ob er das erst meinte, waren wir schon in der Luft. Das Geschenk, das ich zu vor in den Händen hielt, wurde mir entrissen und knallte Chris, der gegenüber von mir saß, mit der Kante ins Gesicht.
  » Aaauu! « schrie er auf und stieß das Geschenk von sich weg. Es ging ein lautstarkes Lachen um, und Chris der uns erst böse anfunkelte, lachte nach kurzer Zeit auch mit.
Während wir so durch die Luft ruckelten, sah ich wie Cosmo besorgt aus dem Fenster sah. Ich teilte seine Besorgnis, denn draußen war nichts außer eine aggressive Mischung aus schwarz und weiß zu sehen, als hätte jemand einen leeren Kanal im Fernsehen angestellt.
  » Wenigstens kommen wir jetzt rechtzeitig an «, hörte ich wie Jack sich zu beruhigen versuchte. Auf einmal sah ich wie zu der Mischung aus schwarz und weiß ein Grau eingeschlichen hatte. Besorgt sah ich nach vorne. Aus dem Frontfenster des Flugzeugs war dasselbe zu sehen.
  » Hey, was geht da ab? « rief ich nach vorne. Jedoch kam keine Antwort zurück, das Einzige was ich vernahm, war ein leises Schnarchen. » Scheiße! «, schrie ich lauthals und auch die Anderen richteten ihren Blick nach vorne. Cosmos Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Während wir spürten, wie das Flugzeug langsam aber sicher an Höhe verlor, packte uns die blanke Panik. Cosmo fing an zu schreien und Jack meldete sich zu Wort:
  » Leute, sucht nach Fallschirmen! Nach Fallschirmen! «
  » In dieser Rostlaube? Der hat bestimmt nicht mal einen! «, schrie Cosmo.
  » Ich hab welche! « meldete sich Chris. Er schmiss uns jeweils einen Fallschirm zu und machte sich daran, in das Vordere des Flugzeugs zu klettern.
  » Was machst du da? « rief ich ihm hinterher.
  » Den Piloten retten, was sonst? «, gab er zurück. Auf einmal gab es einen heftigen Ruck. Chris stolperte nach vorne und Cosmo, Jack und Ich wurden an die Wand gedrückt. Durch unser gemeinsames Gewicht gab diese nach und wir wurden allesamt nach draußen geschleudert. Ich versuchte, mein Gleichgewicht wiederzuerlangen, und unter tödlicher Angst hielt ich Ausschau nach den anderen. Schon in weiter Ferne sah ich, wie das brennende Flugzeug weiter in die Tiefe stürzte und kurz darauf, wie sich eine Silhouette mit einem großen Würfel aus der Tür katapultierte und ihren Fallschirm öffnete. » Woohoooo! «, konnte ich noch Chris‘ Stimme vernehmen. Zu sehr auf die Geschehnisse um mich herum fokussiert, hatte ich völlig vergessen meinen Fallschirm zu öffnen, was ich auch schleunigst tat. Einige Sekunden später landete ich mit der Fressluke voran im Schnee und der Fallschirm breitete sich über mich aus. Ich befreite mich aus diesem, hustete den Schnee und Sand aus und schaute mich hektisch um.
  » Jaack? Coosmooo! Chriiis! « rief ich verzweifelt. Nur einige Meter neben mir erhob sich ein weißer Kopf aus dem Schnee. Er schüttelte sich und Jacks Gesicht, was ich normalerweise als extrem hässlich bezeichnen würde, aber der nun einer der wundervollsten Anblicke war, kam zum Vorschein.
  » Hier! «, meldete er sich und grinste mich an. Wir drehten beide unsere Köpfe in dieselbe Richtung, denn wir vernahmen einen Schrei von nicht allzu weit weg. Ich half Jack aus dem Schnee und wir machten uns auf die Suche nach der Quelle des Schreis. Cosmo, der mitsamt Fallschirm in einer Palme hing, stellte sich als genau jene Quelle heraus.
  » Hey Leute, hier! Helft mir mal! «, rief er zu uns herunter.
  » Warte mal.. Palmen? Das heißt wir sind auf.. «, sagte Jack.
  » Silvercoast Island? Genau! «, und wurde direkt unterbrochen. Chris, der mit dem Geschenk in der Hand gemächlich auf uns zu ging, grinste uns wie immer breit an. » Leute, ich hätte mich fast eingeschissen. Und wenn ich das sage, dann heißt das schon was. « Wir mussten alle erleichtert loslachen.
  » Hey, genug gelacht! Holt mich runter! «, beschwerte sich Cosmo. Jack, der überaus begabt im Palmenklettern war, befreite Cosmo aus seinem Fallschirm und landete sanft auf dem weißen Strand.
  » Bitteschön, im makellosen Zustand «, sagte Chris in einem feierlichen Ton als er mir das Geschenk überreichte.
  » Bist‘n Schatz «, gab ich zurück und Chris zwinkerte mir zu.
  » Was ist mit Daniel passiert? Weißt du, wo er gelandet ist? «, fragte Jack in Richtung Chris.
  » Oh bitte, hoffentlich ist er tot. Ich hasse ihn. «, sagte Cosmo, während er sich aufrichtete.
  » Ich konnte ihm noch den letzten Fallschirm umschnallen und rausziehen, danach hab ich mir das Geschenk geschnappt und bin rausgesprungen. Keine Ahnung, wo er gelandet ist. «, erklärte Chris. Kurz danach machten wir uns auf die Suche nach ihm. Wir untersuchten auch das Wrack des in der Nähe abgestürzten Flugzeugs. Nach kurzer Zeit deutete Jack auf den Boden.
  » Da, seht! Da sind Fußspuren! Die führen eindeutig zu meinem Haus! Lasst da schnell hin! « Von allen gab es ein zustimmenden Nicken und wir rannten, was das Zeug hält. Und naja, jetzt sind wir hier «, erzählte Martin zu Ende.




Epilog. Hereingeschneites Weihnachtsfest

F


  ür einen kurzen Moment war Stille.
  » Alter. « Steffen war der erste, der sich meldete. Die anderen waren noch sichtlich erstarrt.
  » Das is wirklich passiert? Ich glaub euch kein Wort, ihr Spastis «, rief Conni empört.
  » Kein Scherz, das ist alles wirklich passiert «, brachte Chris hinter seinem Schmatzen hervor. Ich sah mich suchend um.
  » Aber… Daniel ist doch gar nicht hier?! «, rief ich. Martin runzelte die Stirn.
  » Jetzt, wo du’s sagst… «, meinte er.
  » Ihr Huuurensöhne! « Mit einem lauten Knall öffnete sich die Haustür. Daniel stand völlig unversehrt in der Tür, während es hinter ihm reinschneite. Unser leicht neben der Spur wirkende Pilot haute die Tür hinter sich ins Schloss und schleuderte seinen Mantel in die Ecke und hing seine überdimensionierte Mütze an einen der Huthaken.
  » Daniel?! Oh Gott, es ist Daniel! « Steffen sah ihn erschrocken, aber freudig an. » Du hast es ja doch hierher geschafft! «
  » Du olle Sau! Und ich dachte du packst das nicht mehr. «, rief Phil, der Daniel prompt umarmte. Daniel zwang sich ein Lächeln ins Gesicht, guckte nachher aber wieder grimmig drein.
  » Dafür ist meine schöne Sascha nun im Arsch. « Daniel wirkte sehr mitgenommen und setzte sich erst mal.
  » Was hast du im Arsch stecken? «, tönte es weiter hinten von Chris, der dabei nur am Lachen war. Ich legte meine Hand auf Daniels Schulter.
  » Daniel. Keine Sorge, ich kümmere mich um den Schaden. Mach dir da jetzt keine Gedanken. Wir haben Weihnachten! « Man sah direkt, wie Daniels Stimmung sich stark erhellte. Er sah sich kurz um und hatte plötzlich einen noch fröhlicheren Gesichtsausdruck, als er die Flasche Wodka entdeckte, die wohl einer der anderen mitbrachte
  » Aber was ganz anderes jetzt – Was ist in dem Geschenk drin?! «, rief Tessi neugierig mit einem leicht aggressiven Ton.
  » Tjahahaa. Ich hab mir was suupertolles überlegt, auf das keiner von euch je gekommen wäre. Das schönste, beste und tollste Geschenk, dass ihr je zu einem Weihnachten erhalten werdet «, entgegnete Martin ihr.
  » Das da drin ist für uns alle? «, fragte Nylo argwöhnisch und sah zu mir hinüber. Ich nickte nur, doch auch ich hatte keine Ahnung was in dem Geschenk war. Martin hatte niemandem erzählt, was er eingepackt hatte, doch so wie Martin grinste, musste es etwas Umwerfendes sein. Schließlich hatte er es die ganze Reise über mit seinem Leben verteidigt.
  » Jetzt mach schon auf Mann! «, sagte Phil ungeduldig.
  » Is ja gut, is ja gut. Ich mach‘s ja auf. «, entgegnete Martin unter leisem Kichern. Während alle gespannt auf das Geschenk blickten, zog er die Schleife vom Geschenk ab, entfernte die Klebestreifen von den Seiten und öffnete die große Schachtel… Und sie war leer. Nichts außer der Transportfolie war in dem Geschenk. Das Grinsen wich von seinem Gesicht. » Ich hab‘s vergessen einzupacken. Scheiße.. «, flüsterte er.
  » Scheiße GEIL! «, rief Max und stürzte sich wie ein Wilder auf die Transportfolie. Die anderen folgten ihm innerhalb einer Sekunde und alles was ich hörte war immer wieder lautes Knallen. Alle Mitglieder der Familie waren hellauf begeistert. Die meisten schrien wie wild herum, stritten um den Massenbesitz besagter Folie, sprangen auf ihr herum und knallten wie blöde. Ich stand mit offenem Mund da und beobachtete das Spektakel.
  » Danke, Martin! Du bist der Beste! «, kam es von Phil.
  » Richtig der kränke Shit, Junge. «, meinte Finn, während er weiter an der Knallfolie saß.
  » Tja, kaum zu glauben, dass die sich über Knallfolie genauso freuen… Naja, ihr werdet noch sehen, was euer Geschenk eigentlich sein sollte. «, sagte er leicht enttäuscht.
Ich ließ die Knallfolie fallen und trat auf Martin zu.
  » Weißt du. Es kam gar nicht so darauf an, was du uns schenken wolltest. Sondern, dass du dir die Mühe gemacht hast uns überhaupt etwas zu schenken. Und du hast dieses verdammte Geschenk durch alle Strapazen durchgebracht. Danke dafür. «, sagte ich zu ihm.
  » Nicht dafür. «, meinte Martin ganz verlegen.

Ich drehte mich zu allen.
  » Leute? «, rief ich um etwas Aufmerksamkeit zu bekommen, worauf die Knallfolie langsam verstummte. » Vielen Dank. Für Alles. Dass Ihr hier seid, dass ihr hier mit uns zusammen Weihnachten feiert. Es ist nicht selbstverständlich so eine gute Familie zu haben. Und noch weniger selbstverständlich alle zu so einem Fest zusammen hier zu haben. Ich bin wirklich glücklich, dass ihr alle da seid. Und danke an Chris, Martin und Cosmo, die diese wilde Reise mit mir durchgemacht haben. Und auch danke an… « Ich seufzte. Ein wenig enttäuscht war ich trotzdem. Denn…
Es klingelte plötzlich an der Tür! Jetzt kam mir ein Grinsen ins Gesicht. Cosmo stand schnurstracks auf und ging in den Flur. Aus Neugier folgten wir.
Es war Heinz Eggert!
  » Heinz! Du hast es ja geschafft! Komm doch rein! «, lächelnd ging er mit kleinen Schritten hinein und schloss die Tür hinter sich. Als er mich erblickte, trat er sofort an mich ran und gab mir eine viel zu kräftige Umarmung.
  » Jack. Und auch euch allen. Vielen Dank für die Einladung. Ich weiß das wirklich zu schätzen. « Es war Weihnachten. Und Heinz tat mir tatsächlich sehr leid, wie er da an Heiligabend nur in seinem Taxi saß. Und so, wie er uns mit Enthusiasmus seine Weihnachtsgeschichten vortrug, bedeutete ihm dieses Fest wohl auch viel. Deswegen konnte ich nicht anders als ihn noch zu uns einzuladen. Als alter Bekannter von uns war das sowieso eine Selbstverständlichkeit.
  » Leute. Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten. « Alle waren so voller Leben und man umarmte sich als würde man Sektgläser anstoßen. Nachdem wir uns etwas beruhigt hatten, nahm Heinz auf einem Sessel Platz und erzählte uns noch einige Weihnachtsgeschichten, bis es mir irgendwann wieder die Augen zu zog.